Das verlassene Boot am Strand
wenn ich nicht dabei bin. Hast du mich verstanden?«
Mando nickte. »Ich suche einen dicken, geraden Ast, aus dem ich ein Ruder machen kann.«
»Du mußt mir versprechen, daß du nicht allein mit dem Boot hinausfährst«, sagte ich. »Sieh mir in die Augen und versprich es.«
Mando kostete es einige Überwindung, mich anzusehen. Er berührte seine Lippen mit dem Daumen und machte die Gesten, mit denen man die Götter Mukat und Zando um Hilfe bittet.
»Ich verspreche es«, sagte er. Dann lief er davon, um nach einem dicken Ast zu suchen.
Ich weiß nicht, wo er ihn schließlich fand, aber es war ein schöner gerader Ast, und Mando verbrachte täglich vor und nach der Arbeit auf dem Feld Stunden in der Werkstatt und schnitzte ein Ruder. Er benutzte das vorhandene Ruder als Vorlage, aber es wurde schwerer. Am nächsten Sonntag, gleich nach dem Gottesdienst, nahmen wir das Ruder und gingen zur Lagune hinunter. Es war ein strahlender Tag. Die Ebbe setzte ein, und die Sonne funkelte.
»Nimm du das leichtere Ruder«, sagte Mando.
Ich kletterte ins Boot und setzte mich neben ihn. Wir ruderten durch die Lagune. An ihrem Ende, ehe sie sich zum Meer hin öffnet, liegt ein schmaler Küstenstreifen und dort gingen wir an Land. Mando hatte einen Ziegelstein mitgenommen, und damit kratzte er den Namen vom Bug des Bootes. Dann holte er ein armlanges Holzbrett hervor.
»Ich hab' es in der Werkstatt gemacht. Was sagst du jetzt? Gut, nicht? Ich hab' einfach den Namen geändert. Pater Zurriga hat mir geholfen. Schau!«
Er hielt das Brett hoch. In weißen Buchstaben war Island Girl darauf gemalt.
Mando freute sich über seinen Einfall. »Boston Boy — Island Girl. Das ist doch viel schöner, nicht?«
»Meinst du Karana?«
»Nein, ich habe es nach dir benannt«, sagte Mando. »Nach dir, meiner Schwester. Weil du ständig davon redest, zur Insel zu fahren.«
Mando nagelte das Schild an den Bug, und wir brachen wieder auf. Eine lange Landzunge, geschwungen wie ein Säbel, trennt die Lagune vom offenen Meer und bricht die Kraft der Wellen. Wir konnten ohne Mühe bis zu ihrer Spitze und dann hinaus ins offene Meer rudern.
Wir steuerten nicht weit hinaus; wir ruderten am Ufer entlang, dicht vor der Dünung. Als die Sonne heiß wurde, kehrten wir in die Lagune zurück.
3
Während der nächsten Woche suchten wir den Strand nach Dingen ab, die wir für unser Boot gebrauchen konnten; wir fanden ein Stück Tau, ein Kissen, eine Decke, eine Schachtel Angelhaken in einem leeren Weinfaß, ein schweres Stück Eisen und zwei Flaschen, die genau die richtige Größe hatten, um sie mit Trinkwasser zu füllen.
Am nächsten Sonntag blieben wir in der Lagune. Wir drehten das Boot mit dem Kiel nach oben und strichen den Boden mit Teer an, den wir in einem Topf erhitzten. Auch der Teer war in langen Streifen auf den Strand geschwemmt worden. Ich weiß nicht, woher er kam. Mando meinte, Mukat habe ihn uns geschickt, aber das bezweifle ich. Das Boot hatte vorher ein bißchen geleckt, aber als es mit Teer gestrichen war, drang kein Wassertropfen mehr durch.
Am Sonntag darauf holten wir den schweren Eisenklumpen aus dem Versteck und befestigten ein Stück Kette und ein Tau daran, die ich ebenfalls am Strand gefunden hatte. Nun besaßen wir ein Boot, das nicht leckte, mit zwei Rudern und einem Anker, der so schwer war, daß wir ihn nur zu zweit heben konnten.
»Nun sollten wir irgendwo hin«, sagte Mando. »Vielleicht rund um die Welt wie Kolumbus.«
»Kolumbus ist nicht rund um die Welt gereist, Mando.«
»Dann sind wir die ersten.«
»Magellan war der erste«, sagte ich. Ich war stolz auf meine Kenntnisse aus der Missionsschule.
»Vielleicht sollten wir uns ein näheres Ziel wählen«, sagte Mando. »Vielleicht die Insel. «
»Welche Insel?« fragte ich, dabei wußte ich genau, welche er meinte. Ich hatte sofort an die Insel gedacht, als ich das Boot entdeckt hatte. Und seitdem ließ mich der Gedanke nicht los.
»Zur Insel der blauen Delphine«, antwortete Mando. »Wir holen Karana heim.« Er machte eine Pause und sein Gesicht hellte sich auf. »Wir könnten ein Segel setzen und den Wind nutzen, wenn er weht, und rudern, wenn es windstill ist. Mit Segeln und Rudern wären wir in zwei oder drei Tagen auf der Insel.«
»Vielleicht ist Karana nicht mehr dort«, sagte ich.
»Vielleicht ist sie tot«, sagte Mando. »Vielleicht haben die wilden Hunde sie getötet. «
»Möglich, aber Kapitän Nidever hat ihre Fußspuren im Sand
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