Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verletzte Gesicht

Das verletzte Gesicht

Titel: Das verletzte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
Vom Netzwerk:
Parkplatz und durchweichten Michaels Schuhe. Das lange Haar klebte ihm an den Wangen, doch der Regen konnte all das Blut dieser Nacht nicht wegspülen.
    Michael hasste Krankenhäuser. Aus Liebe zu seinem Bruder verbrachte er jedoch die Nacht im Warteraum, während Bobbys gebrochener Kiefer gerichtet und verdrahtet wurde. Seine eigenen Schnitte und Quetschungen hatte man bereits versorgt. Er musste in jedem Fall einen Aids-Test machen lassen, nur zur Sicherheit. Er nickte einige Male in dem harten Stuhl ein, doch schlafen konnte er nicht. Als die Nachtschicht vom Tagespersonal abgelöst wurde, durfte Michael endlich zu seinem Bruder ins Zimmer.
    Bobby ruhte, als Michael in das schmale Zweibettzimmer sah. Zum Glück war das zweite Bett leer, sodass sie offen sprechen konnten. Michael verharrte jedoch an der Tür. Bobby lag an Schläuche angeschlossen friedlich da. Sein Gesicht war verändert. Die Nase war gebrochen, ebenso der Wangenknochen, sodass die Wange einfiel. Das linke Auge war unter der Schwellung verschwunden.
    Michael blieb schockiert stehen und wünschte, die Bastarde, die das zu verantworten hatten, herschleifen zu können.
    „Sie dürfen ruhig hineingehen. Er hat starke Schmerzmittel bekommen und wird ein wenig groggy sein“, sagte die große bebrillte Krankenschwester und versetzte ihm einen kleinen Schubs. „Sie haben Besuch, Mr. Mondragon!“ erklärte sie in lauter fröhlicher, bei Krankenschwestern offenbar weit verbreiteter Stimmlage.
    Bobby öffnete das rechte Auge. Ein Muskel zuckte im Gesicht, was Michael für den Ansatz eines Lächelns hielt. „Hallo …“
    „Hallo, großer Bruder. Du siehst ziemlich gut aus für jemand, dem man die Seele aus dem Leib geprügelt hat.“
    „Wer sagt das wem. Aber wir waren gut, was?“ Seine Stimme war rau, und er konnte kaum artikulieren.
    Michael lachte leise und hielt die Tränen zurück. „Ja, wir leben.“
    „Gerade so.“
    „Tut mir Leid, Bobby. Ich hätte auf dich aufpassen sollen.“
    „Es ist passiert. Ich bin kein Opfer.“ Er sprach schleppend wegen des verdrahteten Kiefers und der geschwollenen Lippen. „Nie mehr“, bekräftigte er mit geschlossenen Augen und verzog das Gesicht.
    „Ist dir das schon früher passiert?“
    „Nicht so schlimm wie jetzt, aber der Körper erinnert sich. Lange nachdem der Verstand sich zum Vergessen gezwungen hat.“
    „Ach, Bobby.“
    „Sie haben meine Nase erwischt. Bisher habe ich immer meine Nase schützen können.“
    „Halb so schlimm. Die Ärzte sagen, das kann man richten.“
    „Gut, denn ich atme gern durch beide Nasenlöcher.“
    Michael sah auf seine Schuhspitzen, um die Tränen zu verbergen. Bobbys schönes, aristokratisches Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
    „Weiß Mama Bescheid?“
    „Ja, sicher. Sie ist unterwegs.“
    „Was weiß sie?“
    „Alles. Ich habe am Telefon mit ihr gesprochen. Als Papa nach Hause kam, war er betrunken. Aber diesmal …“ Er tätschelte Bobby lächelnd die Hand. „Diesmal hat sie eine Tasche gepackt und ist gegangen.“
    Bobby drehte den Kopf ein wenig. Die Bandagen verhinderten eine deutlichere Bewegung. „Das wollte ich nicht.“
    „Sie musste Stellung beziehen. Sie konnte nicht einfach zu Hause bleiben und so tun, als sei nichts. Ehrlich, ich bin verdammt stolz auf sie.“
    „Ich will nicht, dass sie mich so sieht.“
    „Wie kannst du das sagen? Du bist ihr Sohn. Sie liebt dich. Für sie bist du immer schön, gleichgültig, wie du aussiehst.“
    Bobby drehte langsam den Kopf und sah Michael in die Augen. Und beide verstanden, was unausgesprochen blieb.
    Wird Charlotte für dich immer schön sein – gleichgültig, wie sie aussieht – weil du sie liebst?
    „Ich habe gehört, sie ist jetzt verlobt“, sagte Bobby leise.
    „Mit diesem Agenten.“
    „Ja, so heißt es.“
    „Und du lässt das einfach zu?“
    „Es ist vorbei, Bobby. Da sind Dinge geschehen, die du nicht verstehst.“
    „Ich verstehe nur, dass du sie immer noch liebst.“
    „Sie hat mich verlassen.“
    „Nein, du hast sie gehen lassen.“
    „Das ist gleichgültig.“
    „Wenn Liebe gleichgültig ist, was ist dann noch wichtig?“ Bobby versuchte zu lächeln, doch vor allem sein Blick ließ Michael nicht los. Ein Blick, in dem eine Weisheit zum Ausdruck kam, die weit über die wenigen Jahre Altersunterschied hinausging.
    Michael begriff plötzlich, dass sich Bobby immer um ihn gekümmert hatte, nicht etwa umgekehrt. Wenn er Hilfe gebraucht hatte, oder wenn ihm als Kind

Weitere Kostenlose Bücher