Das verletzte Gesicht
war beängstigend.
„Siehst du, Papa“, schrie sie, „ich bin es, deine Tochter, die dir beisteht, die tut, was du verlangst. Nicht deine Söhne. Sieh mich an, Papa!“ Sie schlug sich gegen die Brust, und der Regen spülte ihre Tränen ab. „Ich! Nicht deine Söhne!“
Luis kletterte von der Ladefläche und breitete die Arme aus. Rosa warf sich hinein.
Michael sprang ebenfalls hinunter und ging an den beiden vorbei auf Manuel zu. Der sah ihm voller Misstrauen entgegen.
„Manuel“, begann Michael leise und eindringlich, „jetzt ist nicht der Moment, den Schwiegersohn herauszukehren, sondern den Vater. Führ dich nicht auf wie er.“ Er deutete auf Luis. „Rosa wird nicht gehen, das weißt du. Lass deine Kinder nicht im Stich. Du musst Cisco und Maria Elena in Sicherheit bringen. Es ist noch nicht zu spät. Rette deine Kinder, Manuel!“
„Ich brauche ihn hier!“ schrie Luis zornig.
„Geh!“ drängte Michael. „Ich übernehme hier deinen Platz.
Manuel presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und gab Michael die Hand. Nach einem kräftigen Händedruck lief er zum Haus.
Luis reckte das Gesicht zum Himmel und lachte dem Donner entgegen. „Diese Frau, sie ist der Mann in der Familie. Sie ist macho, no?“
„Macho“, entgegnete Michael angewidert und erkannte die dunkle, gefährliche Seite des Machismo. „Was ist ein echter Mann? Lässt ein echter Mann seinen Sohn im Stich? Setzt ein echter Mann seine Kinder Gefahren aus? Wenn du deine Kinder nicht beschützt, was für ein Mann bist du dann?“
„Ich bin ein Mann, der für das kämpft, was ihm gehört!“ blaffte Luis. „Dieses Land bedeutet mir alles. Verstehst du mich? Alles! Ich werde es nicht verlassen.“ In wilder Wut stapelte er weiter Container auf die Ladefläche, und der Regen klatschte ihm ins Gesicht.
„Ich auch nicht.“ Rosa verschwand in der Gärtnerei, um mehr Pflanzen zu holen.
Michael fluchte leise. Wenigstens brachte Manuel die Kinder in Sicherheit.
„Vater, wir sollten fahren!“
„Fahr du! Du bist ein Nichts. Du hast keine Kultur, keine Sprache, keine Familie. Fahr du!“
Zähneknirschend dachte er an das Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte. „Ich helfe dir bei dem Nötigsten, dann fahren wir alle.“
Luis sah ihn wortlos, aber triumphierend an.
Gegen vier ließen sie die restlichen Pflanzen der Gärtnerei zurück. Sie hatten das meiste auf höher gelegenes Land gebracht. Draußen auf dem Feld verwüstete der Sturm den Obstgarten. Die Flut löste die Wurzeln und zerrte die Pflanzen aus dem Boden. In der Dämmerung schwammen die Container im Wasser, eine bunte Flotille aus Sommerblumen, Büschen und Bodendeckern.
Michael, Luis und Rosa stapften durch das kniehohe Wasser, dann den Hügel hinauf durch Erde, so weich wie Schokoladenpudding, zum Haus, das auf einer kleinen Anhöhe lag. Auf der Veranda schüttelten sie die Stiefel ab und drängten sich, während draußen der Sturm raste, keuchend vor Erschöpfung in das dunkle stille Haus.
„Wir haben keinen Strom“, sagte Rosa und betätigte den Schalter.
„Ich habe Cisco gesagt, ihn abzuschalten.“
„Nun, dann schalten wir ihn wieder ein. Es ist eiskalt hier drin. Wir sterben an Unterkühlung.“
„Wasser leitet Strom. Wenn wir einen Kurzschluss verursachen und in Wasser treten, werden wir gebraten. Sicher sind wir nur, wenn wir den Strom ausgeschaltet lassen.“
„Ich trage Gummistiefel.“
„Das reicht nicht.“
„Miguel hat Recht“, grollte Luis leise. „Lass den Strom aus. Wo ist eine gottverdammte Taschenlampe?“
Michael tastete sich zum Esszimmertisch vor und fand etwas, das sich nach Taschenlampe anfühlte. Seine Finger waren steif vor Kälte und Nässe, doch er betätigte den Knopf, und Licht durchdrang die Dunkelheit. Dank Maria Elena und Cisco standen Trinkwasser, Konserven, ein Erste-Hilfe-Kasten, Notlaternen, Kerzen und Streichhölzer auf dem Tisch.
„Ein Radio!“ rief Rosa aus, als sie es auf dem Tisch entdeckte. „Dem Himmel sei Dank. Ich mache den Wetterbericht an.“
Zitternd versammelten sich die drei um den Apparat und lauschten. Der Tag hatte Rekordniederschläge gebracht, doppelt so hoch wie das bisherige Maximum. Der Damm war gebrochen und schickte meterhohe Schlamm- und Wassermassen über die Straßen Richtung Stadt. Alle Bewohner waren evakuiert worden. Wer sich noch in der Region befand, wurde aufgefordert, den höchsten Punkt aufzusuchen und sich auf das Schlimmste einzustellen. Einige Sekunden
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