Das verletzte Gesicht
etwas anderes. Mit wachsender Sorge blickte Michael rasch von rechts nach links. Wo war Bobby mit dem Wagen? Er hätte längst hier sein müssen.
„Bobby?“ rief er. Am Himmel zuckte ein Blitz, als das Gewitter näher kam. Der Regen war bereits zu riechen. Michael ging einige Schritte in die Richtung, wo sie geparkt hatten, und bekam Angst. Diese wilden Typen hier würden nicht zögern, jemand zusammenzuschlagen, den sie für schwächer und noch dazu homosexuell hielten. Für die wäre das ein Sport. Verdammt, Bobby trug die auffallenden Leinenhosen.
Donner grollte, und wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. In einiger Entfernung entdeckte er zwei Autos, das seines Vaters und ein flaches grünes Kabrio. Die Türen standen offen, und jemand saß auf der Kühlerhaube. Linker Hand, weiter draußen auf dem Feld, standen Männer mit brennenden Zigaretten im Kreis. Er hörte raues Gelächter, Schreie, dann Stöhnen.
„Bobby!“ Instinktiv rannte Michael auf die Ansammlung zu, Luis und Manuel auf seinen Fersen. Im Näherkommen hörte er die eindeutigen Geräusche von Fäusten auf Knochen. Er zählte vier oder fünf Männer, einer lag am Boden und wurde getreten.
Michael lief schneller und warf sich mit der Schulter gegen den Mann, der sich über seinen Bruder beugte. Der verlor das Gleichgewicht. Bobby lag am Boden, einen Arm schützend über das Gesicht gelegt, die Knie an die Brust gezogen. Sogar im fahlen Mondlicht erkannte Michael, dass er blutete.
Er sah rot. Wütend stürzte er sich auf den Ersten, der es wagte, ihn anzugreifen, und schickte den großen fetten Kerl mit einem Kinnhaken zu Boden. Er richtete sich auf und winkte die anderen heran. „Kommt nur her, ihr Feiglinge.“
Drei dünne, nervöse Kerle tänzelten herum wie die Gockel und attackierten schließlich. Michael landete noch einen Schwinger, ehe er selbst einen einsteckte, dass er zwei Schritte zurücktaumelte. Sogleich duckte er sich und schlug wieder zu. Michael war zwar größer als die anderen, doch ein dunkelhäutiger tätowierter Typ mit blauem Stirnband war offenbar ein geübter Straßenkämpfer und zäh wie Leder. Ein Uppercut ließ Michael Sterne sehen, und er klappte gnadenlos zusammen. Sofort stürzten sich die anderen auf ihn und rollten sich stöhnend und fluchend mit ihm am Boden.
Luis und Manuel griffen ein, teilten Schläge aus und steckten sie ein. Sie kämpften mit ganzem Herzen, denn hier ging es nicht um Ehre, sondern um die Familie. Es war ein harter Schlagabtausch, ehe die vier, die Bobby überfallen hatten, mit wehenden Hemdschößen zu ihren Wagen liefen. Luis musste Michael festhalten, damit er ihnen nicht folgte.
„Genug!“ schrie er ihn an.
Der Kampf hatte nur Minuten gedauert, war jedoch blutig gewesen.
Luis keuchte, sein Hemd war zerrissen, und sein linkes Auge schwoll zu. Was ihn nicht daran hinderte, von einem Ohr zum anderen zu grinsen. „Wir haben sie in die Flucht geschlagen,
mi’jos
! Zusammen! Die Mondragons sind Conquistadoren.“
Manuel nickte lachend und zog sich den Ärmel über die blutende Nase. „
Sí.
Sie kommen uns besser nicht in die Quere, oder wir treten ihnen in den Hintern.“ Er taumelte zu Luis, legte einen Arm um ihn und klopfte ihm auf den Rücken.
Michael eilte zu Bobby, der sich auf einen Ellbogen hochgestemmt hatte. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, und er atmete schwer.
„Bobby, wie schlimm ist es?“ fragte er besorgt. Das sah nicht gut aus. Er beugte sich hinunter, hob seinen Kopf an und erschrak. Bobbys hübsches Gesicht war eine verunstaltete Masse. Die Lippen waren aufgeplatzt, die Augen schwarz, die Nase gebrochen. Blut strömte in kleinen Rinnsalen über das verquollene Gesicht. Vorsichtig zog er Bobbys bebende Schultern an sich.
„Nein!“ protestierte der trotz eingeschlagener Zähne. „Blut!“
„Ich passe auf.“
„Ich denke …“ Bobby hustete und spuckte einen Zahn aus. „Ich denke, eine Rippe ist gebrochen.“
Michael fluchte leise. Hier waren nicht nur Knochen gebrochen worden, sondern auch ein Lebensmut.
Luis kam heran und fluchte laut, als er seinen Sohn sah. „
No lo creo …
Seht nur, was sie angetan meinem Jungen. Ruf sie zurück, Manuel! Ich will sie in die Finger kriegen.“
„Geh, hol den Wagen“, sagte Michael ihm.
„Sí
, den Wagen“, stimmte Luis nickend zu. „Wir müssen ihn heimbringen zu Mama.“
„Wohl eher ins Krankenhaus“, widersprach Michael.
„Nein, kein Krankenhaus.“ Luis hegte einen tiefen Hass auf
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