Das verletzte Gesicht
aus und ballte sie zu Fäusten. „Warum?“ schrie er herzzerreißend zum Himmel. „Warum musstest du uns alles nehmen?“
„Wir sind bankrott“, jammerte Rosa. „Wir haben keine Pflanzen mehr. Bäume, Büsche, Blumen, alles dahin.“
„Alles dahin“, bestätigte Manuel und legte tröstend einen Arm um sie. Rosa war größer als ihr Mann, aber sie legte den Kopf an seine Schulter.
Michael war weder verzweifelt noch wütend, sondern nahm das Ganze philosophisch hin, was ihn selbst am meisten wunderte. Die Natur war eben launisch. Sie konnten die Fäuste zum Himmel schwingen und heulen, oder sie gingen achselzuckend zum Wiederaufbau über. Jammern hatte noch niemandem geholfen, also würde er anpacken.
„Das schöne Land“, klagte Luis. „Es ist ruiniert und stinkt.“
Michael ging in die Hocke und nahm eine Hand voll Erde. Er schnupperte daran und lächelte. „Schau Papa, die Erde ist fruchtbar. Riech daran. Schließ die Augen und stell dir Reihen neuer, gesunder Pflanzen vor. Stell dir den blühenden Obstgarten im Frühling vor, das Summen der Bienen, das Lachen deiner Enkel. Deine Familie zusammen: du, Mama, Rosa, Manuel, Roberto und ich.“
Sein Vater sah ihn hoffnungsvoll an, schloss die Augen und roch an der Erde in Michaels Hand. „Gar nicht übel. Vielleicht hast du Recht.“
„Es ist immer noch unser Land, und es ist gutes Land“, betonte Michael. „Wir werden die Gärtnerei wieder aufbauen und neu anfangen.“
Als er das sagte, merkte er, dass er mit dem Neuanfang nicht nur den Familienbetrieb meinte. Er dachte vielmehr an die Beziehung zu einer Frau, der von der Natur ebenfalls übel mitgespielt worden war.
Während er mit der Familie daranging, Haus und Land vom Schlamm zu befreien, fühlte er sich so leicht wie schon lange nicht mehr. Die Naturkatastrophe hatte seinen Blick für das Wesentliche geschärft. Sein Herz schien wie von einer dicken Schicht aus Zorn und Frustration befreit, unter der er eine schlichte Wahrheit entdeckte: Er liebte Charlotte. Die Erkenntnis allein genügte jedoch nicht, er musste danach handeln. Er glaubte, dass auch sie ihn noch liebte. Und wenn die Frühlingssonne dieses verwüstete Land zu neuem Leben erwachen ließ, tat sie dasselbe vielleicht für ihre Beziehung.
24. KAPITEL
E s war lange her, seit er die Straße zu Charlottes Haus hinaufgefahren war. Doch er kannte die Strecke noch gut. Es war ein strahlender Frühlingstag, da musste alles gut werden. Er würde Charlotte überzeugen, dass er sie liebte, und dass sie jedem Schicksal trotzen konnten, solange sie nur zusammen waren.
Er überlegte, was er ihr sagen wollte. Er würde offen, direkt und ehrlich sein.
Als er vor ihrem Tor anhielt, hatte er sich alles zurechtgelegt und klingelte mehrfach ungeduldig.
„Wer ist da?“ ertönte Melanies Stimme.
„Michael Mondragon. Ich möchte zu Charlotte.“
Eine kurze Pause, und er umfasste das Lenkrad fester.
„Dem Himmel sei Dank“, kam die Antwort.
Die Tore schwangen auf, und er fuhr auf das Haus zu. Er hatte es zum Zufluchtsort für sie beide umgebaut. In der Gartenanlage dominierten jetzt die weißen Tulpen. Bald würden Anemonen den Frühsommer begrüßen.
Haus und Garten weckten Erinnerungen an gemeinsame Stunden, das gab ihm zusätzlich Mut.
Die Haustür schwang auf, und Melanie warf sich ihm entgegen. Er hatte sie fast ein Jahr nicht gesehen und musste zweimal hinschauen, um sie zu erkennen. Sie war rundlicher geworden, das hellbraune Haar schimmerte gesund, und die Augen strahlten vor Zufriedenheit.
„Ich wusste, dass du kommen würdest.“ Sie umarmte ihn und tätschelte ihm den Rücken. Das Küchenhandtuch in ihrer Hand flatterte im Wind und verströmte den delikaten Geruch nach Rosmarin und Knoblauch. „Ich wusste es einfach, aber du hast dir viel Zeit gelassen!“
Er ging an ihr vorbei ins Haus und hielt suchend nach Charlotte Ausschau. „Wo ist sie?“
Melanie folgte ihm. „Sie ist weg.“
„Weg?“ Er fuhr zu ihr herum. „Wohin?“
„Nach Chicago. O Michael, ich hoffe, du kommst nicht zu spät. Du musst sie aufhalten. Der bringt sie um!“
Michaels Herz schlug schneller. „Von wem sprichst du? Wer bringt sie um?“
„Freddy. Charlotte wird mit jedem Tag kränker. Auf der Oscar-Party ist sie fast zusammengebrochen. Seither hat sie sich hier versteckt und ist nirgendwo hingegangen. Freddy wacht über sie wie ein Höllenhund. Sie hört nicht mehr auf mich. Sie hört nur noch auf Freddy. Als hätte er sie irgendwie
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