Das verletzte Gesicht
sprach keiner ein Wort.
„Wir sollten besser machen, dass wir hier wegkommen!“ drängte Rosa mit schriller, ängstlicher Stimme.
„Geht nicht.“ Michael hielt sie zurück, als sie zur Tür gehen wollte. „Die Straßen sind reißende Ströme. Da draußen ist die Hölle los. Die Hauptverkehrsadern sind unterbrochen. Wir sitzen hier in der Falle. Irgendwie müssen wir versuchen, das zu überstehen.“
„Das geht nicht? Es gab bereits Tote! Dieses Unwetter ist schlimmer als die früheren. Diesmal erreicht das Wasser garantiert das Haus. Ich werde hier nicht herumsitzen und auf den Tod warten! Ich rufe Hilfe.“ Rosa lief zum Telefon, nahm den Hörer ab und lauschte. Ihr Gesicht wurde aschfahl. „Die Leitung ist tot.“
Michael sah, dass sie in Panik geriet, und nahm sie in die Arme. „Wir überstehen das, Rosa. Wir haben genügend Vorräte, und wir liegen erhöht. Vielleicht werden wir nass, aber wir überleben das.“ Er sprach betont ruhig, glaubte seinem leeren Trost jedoch selbst nicht. Er wusste, dass sie in großen Schwierigkeiten steckten. Als er merkte, dass sie ruhiger wurde, ließ er sie los und lächelte ihr aufmunternd zu. Zu seiner Freude erwiderte sie sein Lächeln. „Versuchen wir uns wenigstens abzutrocknen. Uns steht eine lange Nacht bevor.“
Rosa nickte steif. „Ich hole ein paar von Papas Sachen. In Mamas oder Bobbys passen wir wohl beide nicht.“ Sie lachte erstickt und ging mit gesenktem Kopf zum Schlafzimmer.
„Zur Hölle mit diesem verrückten kalifornischen Wetter!“ fluchte Luis und zog seinen Regenmantel aus. Darunter war er nass bis auf die Haut. „In einem Jahr wir verdorren, im anderen wir schwimmen weg. Und dazwischen gibt es Erdbeben und Feuersbrünste. Gottverdammtes kalifornisches Scheißwetter!“
Michael ging zur Tür, öffnete sie und leuchtete in den Regen hinaus. Was er sah, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Das Wasser kam bereits ihre Auffahrt hinauf, und zwar schnell.
„Papa, das Wasser erreicht gleich das Haus. Komm!“ Er schloss die Tür und eilte zu den Vorräten. „Schnapp dir das Zeug und bring es nach oben.“
„Du glaubst doch nicht, dass das Wasser so hoch steigt.“ Rosa kam zurück, den Arm voller Jeans und Flanellhemden.
„Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Wir bringen das Zeug besser nach oben.“
Sie nickte mit ängstlichem Blick.
Diesmal tat Rosa, was man ihr sagte, und verschwand mit dem Licht die Treppe hinauf. Michael fiel auf, dass sie zum ersten Mal seit drei Jahren als Team arbeiteten. Es brauchte eine Naturkatastrophe, um das zu erreichen. Aber darüber wollte er jetzt nicht grübeln.
Luis warf in seinem Büro Papiere und Fotos in eine Einkaufstasche. Michael rannte in die Küche und stopfte Vorräte in eine Plastiktüte. Das Wasser strömte jetzt unter den Türen durch ins Haus und stand bereits zwei Inches hoch im Flur.
„Papa, besitzt du ein Gummiboot?“
Rosa blieb auf der Treppe stehen und blickte entsetzt auf die hereinströmende Flut. „O mein Gott …“
„Ich habe ein aufblasbares in Garage“, erwiderte Luis und watete, Einkaufstasche über der Schulter, in den Wohnraum.
„Wir können es jetzt nicht mehr holen, vergiss es. Geh nach oben, Papa.“
„Ich glaube, Cisco hat eines von diesen Boogie Boards in seinem Zimmer“, rief Rosa.
„Hole es und bleib oben. Beeil dich! Papa, komm schon!“
„Wer gibt hier Anweisungen?“ empörte sich Luis und entriss Michael seinen Arm. „Ich habe Boot, und ich werde es holen.“
Ehe Michael ihn aufhalten konnte, watete Luis zur Tür und riss sie auf. Eine meterhohe Flutwelle kam ihm entgegen.
„Papa!“ schrie Rosa auf, als das Wasser hereinspülte, Luis von den Beinen riss und ihn wild durch den Raum wirbelte. Michael kraulte auf ihn zu, doch das wütende Wasser warf sie beide gegen die Wand. Während er sich durch die brusthohen dunklen Fluten arbeitete, stieß ihm etwas Hartes gegen Schulter und Rippen. Ein Ast, ein Möbelstück, ein Tier? Er wusste es nicht. Er schwamm auf die Stimme seines Vaters zu und packte Luis bei der Hand.
Oben von der Treppe rief Rosa: „Wo seid ihr? Ich kann euch nicht sehen.“
„Schnapp dir seine Hand!“ schrie Michael und schob Luis auf den schmalen Lichtstrahl zu. „Zieh ihn hoch!“
Zum ersten Mal im Leben war Rosa dankbar für ihre Größe und Kraft. Sie beugte sich weit hinunter, nahm die Hand ihres Vaters und zog ihn aus dem Wasser hinauf in die erste Etage. Michael kletterte ihm nach.
Erschöpft und betäubt von
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