Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verletzte Gesicht

Das verletzte Gesicht

Titel: Das verletzte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
Vom Netzwerk:
möglich. Hatte er eine Ahnung, wie viel Hoffnung er ihr soeben gemacht hatte? Ihr Herz pochte wild, und der Mund wurde ihr trocken vor Aufregung. „Nun, ja … ich meine …“, stammelte sie und hob den Blick. „Mein Kinn.“
    „Was ist mit Ihrem Kinn?“
    „Ich möchte eines. Ein richtiges, nicht so ein fliehendes, wie ich es jetzt habe.“
    „Und der Rest? Augen, Nase, Wangenknochen?“
    Charlotte dachte kurz nach. „Nein. Sie spiegeln meinen Vater und meine Mutter wider. Ich akzeptierte das als mein Erbe.“
    „Sehr gut.“
    Er lächelte, und Charlotte war erleichtert. Offenbar hatte sie richtig geantwortet. Sie entspannte sich ein wenig und entkrampfte die Finger. Sie bemerkte, dass es Dr. Harmon nicht entging.
    „Wie lange sind Sie schon unglücklich über Ihr Kinn?“
    „Schon immer. Ich fand, Gott hat mich bei meinem Kinn übers Ohr gehauen.“
    „Übers Ohr gehauen? Das ist eine interessante Art, es zu sehen.“
    „Als kleines Mädchen dachte ich immer, Gott erschaffe jeden von uns einzeln wie ein Bildhauer. Der Rest von mir ist in Ordnung.“ Sie lachte errötend. „Ich dachte, Gott hätte keine Zeit mehr gehabt und mich hingeschludert.“ Sie sah erleichtert, dass es in Dr. Harmons Augen amüsiert aufblitzte. „Kinderlogik, ich weiß. Aber bisher habe ich keine andere Entschuldigung gefunden. Es ist so unfair.“ Nach einer Pause fügte sie hinzu: „Ich will nicht mein ganzes Aussehen ändern, Doktor. Ich bitte Sie nur, das zu beenden, was Gott angefangen hat.“
    Dr. Harmon schwieg einen Moment, offenbar gerührt von ihren Worten. Zumindest hatte er ihr zugehört, denn seine Augen nahmen jenen besonderen Ausdruck an, den Menschen haben, wenn sie genau nachdenken.
    Nach einer Weile erwiderte er: „Es freut mich zu hören, dass Sie sich nicht vollständig verändern wollen. Denn das wäre unrealistisch. Wir haben es hier mit einer angeborenen Deformierung zu tun. Ein seltener Fall, und die Korrektur ist eine langwierige und heikle Angelegenheit. Der Kiefer wird geteilt und wieder zusammengesetzt werden müssen. Man wird Knochenimplantate erwägen und in extremen Fällen wie in Ihrem wird man auch künstliche Implantate einsetzen müssen, um Größe und Form von Kieferund Kinnlinie zu modellieren. Vielleicht wird eine Nachbehandlung durch einen Kieferorthopäden notwendig. Aber es ist machbar, und offen gestanden, sind Sie zum richtigen Arzt gekommen, denn ich habe mich auf diese Art von plastischer Chirurgie spezialisiert.“
    „Das habe ich gehört. Und Sie sollen der Beste sein.“
    Ein Ausdruck der Genugtuung huschte über sein Gesicht, allerdings besaß er den Anstand, das Kompliment nicht zu bestätigen. „Was sagt Ihre Familie zu der Operation?“
    „Familie?“
    Er sah auf die Kartei. „Hier steht, Sie leben mit Ihrer Mutter zusammen.“
    „Das ist richtig.“
    „Gibt es sonst noch jemand Wichtiges für Sie?“
    „Nein, nur meine Mutter.“
    Er hob die Brauen und wartete, dass sie weitersprach.
    „Ich habe es ihr noch nicht gesagt.“
    Er zog die Brauen noch höher. „Warum nicht?“
    „Weil ich nicht glaube, dass sie damit einverstanden wäre.“
    „Dass Angehörige nicht verstehen, wie viel einem ein spezieller Eingriff bedeutet, kommt vor. Trotzdem ist es wichtig, dass Sie die Sache mit ihr besprechen, allein schon, um auszuloten, wie viel Unterstützung Sie von ihr erwarten können.“
    „Ich stehe das allein durch.“
    „Miss Godowski, nach jeder Operation gibt es physischen und psychischen Stress, der Ihr Durchhaltevermögen und Ihre Stimmung beeinträchtigen wird. Das ist nur natürlich.“
    „Ich bin sehr fit, und ich habe großes Durchhaltevermögen.“
    „Ich meine damit, dass sich viele Menschen nach einem solchen Eingriff eine Weile depressiv fühlen. Sie werden Unterstützung brauchen. Ich ermutige Sie, offen mit Ihrer Mutter über alles zu sprechen.“
    Charlotte nickte. „Ich werd’s versuchen.“
    „Und Sie teilen mir die Reaktion mit?“
    Charlotte nickte wieder.
    „Was werden Sie tun, falls Ihre Mutter gegen die Operation ist?“
    „Ich werde sie trotzdem durchführen lassen.“
    Dr. Harmon verengte die Augen ein wenig. „So viel bedeutet sie Ihnen?“
    „Ja, sie bedeutet mir alles.“ Sie zwang sich, seinem forschenden Blick standzuhalten.
    „Warum? Und warum jetzt? Frauen, die mit so einem Defekt geboren werden, lassen sich in der Regel spätestens im Teenageralter operieren. Sie sind …“ Er sah wieder auf die Kartei. „Zwanzig. Was

Weitere Kostenlose Bücher