Das verletzte Gesicht
fleischigen Blätter einer Begonie, als sie ihn entdeckte.
Er stand umgeben von drei Frauen mit Topfblumen in den Händen und lauschte ihnen freundlich lächelnd. Das rabenschwarze Haar, die gebräunte Haut, ein weißes Hemd, an all das erinnerte sie sich nur zu gut.
Er sah kurz in ihre Richtung und widmete sich wieder den Ladys. Langsam, als habe ihn etwas stutzig gemacht, drehte er den Kopf wieder zu ihr hin und runzelte leicht die Stirn, als versuche er sie einzuordnen.
Charlotte war wie erstarrt. Es war der Fremde aus dem Fahrstuhl in jener kalten schicksalhaften Nacht in Chicago. Ihr war plötzlich, als hätten alle Ereignisse seither sie zielstrebig an diesen Ort geführt.
Er schien sie nicht zu erkennen, jedoch kam sie ihm offenbar bekannt vor. Jedenfalls straffte er sich und betrachtete sie ebenso verblüfft wie sie ihn.
Er neigte den Kopf zur Seite.
Wer bist du?
Sie lächelte.
Ja, ich bin es.
Die drei Frauen merkten, dass er abgelenkt war, und sahen ebenfalls zu ihr hin. Er entschuldigte sich bei ihnen ungeachtet ihrer offenkundigen Enttäuschung, gab einem Assistenten das Zeichen zu übernehmen und kam auf Charlotte zu.
Sie bewegte sich nicht und betrachtete ihn beim Näherkommen. Er trug das Haar jetzt länger und hatte es im Nacken zusammengebunden. Dunkle Brauen wölbten sich über durchdringenden dunklen Augen.
„Kenne ich Sie?“ fragte er und blieb vor ihr stehen.
Sie erkannte die tiefe Stimme, als wären sie sich erst gestern begegnet. Charlotte senkte kurz den Blick und überlegte, wie sie reagieren sollte. Es bestätigen und die ganze Geschichte erzählen, oder leugnen und von Neuem anfangen?
„Nein“, erwiderte sie schwach lächelnd.
Er sah sie nachdenklich an. „Ich dachte schon, Sie kamen mir irgendwie bekannt vor.“ Er stellte sich leicht verlegen vor. „Ich heiße Michael. Michael Modragon.“ Er streckte ihr die Hand hin.
Sie nickte und nahm sie. „Ich heiße Charlotte. Charlotte Godfrey.“
Seine Hand war kräftig und leicht schwielig. Sie zu berühren war prickelnd.
Er schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans. „Nun, Miss Godfrey, kann ich Ihnen helfen?“
Sein Verhalten war höflich und dezent, nur sein Blick verriet Interesse. Sie erinnerte sich an seine ritterliche Geste im Fahrstuhl. Damals war sie leider nicht darauf eingegangen.
„Ja, danke.“ Sie nahm eine weiße Lilie und betrachtete sie eingehend. „Ich könnte Ihre Hilfe gebrauchen.“
„Möchten Sie sich erst umsehen?“ Er machte eine einladende Geste.
Gemeinsam gingen sie noch einmal die Pflanzreihen entlang, jeder mit dem Gefühl, einen besonderen Moment zu erleben.
Michael deutete auf einige Pflanzen, berührte die Blätter und erklärte alles Wissenswerte über sie. Seine Kenntnisse über Boden- und Pflegeansprüche beeindruckten sie sehr. Als sie ihm das sagte, deutete er lachend auf die weißen Plastikschildchen neben jeder Pflanze.
„Ich mogele“, gestand er und zog eines heraus. Auf dem Schild standen Pflanzenname und Pflegeanleitung.
„Dem Himmel sei Dank für die Symbole. Sogar ein Anfänger wie ich erkennt den Unterschied zwischen einer vollen Sonne und einer halben.“
„Dann haben Sie noch nicht viel Erfahrung mit Gartenarbeit?“
„Kein bisschen. Aber ich lerne schnell. Und ich habe ein schönes sonniges Grundstück zur Verfügung. Es könnte etwas Besonderes daraus werden. Für mich sowieso. Es ist das erste Stück Land, auf dem ich lebe.“
„Ich helfe gern. Was für Pflanzen hätten Sie gern? Einjährige oder Stauden?“
„Hat das etwas mit voller Sonne oder Halbschatten zu tun?“
Er lachte. „Nein. Einjährige Sommerblumen sterben im Herbst ab. Stauden kommen jedes Jahr wieder. Für Ihre erste Gartensaison empfehle ich Sommerblumen. Das bringt Farbe, und Sie haben Zeit, den Boden besser kennen zu lernen.“
„Ich muss noch viel lernen“, gestand sie, nachdem ihr Rundgang beendet war. „Ich dachte, ich fahre in die Gärtnerei, suche mir ein paar Pflanzen aus und setze sie zu Hause ein. Wahrscheinlich bin ich als Gärtner ein Albtraum.“
Er fand eher, dass sie die Erfüllung eines Traumes war. „Es ist gar nicht so schwer. Sie müssen sich nur entscheiden, womit Sie anfangen wollen.“
„Und wo fange ich an?“
Er lächelte. Sie machte es ihm zu einfach. „Bei Ihrem Grundstück. Wo leben Sie?“
Sie kamen überein, dass Michael sich am nächsten Tag ihren Garten ansah. Charlotte konnte es kaum erwarten. Von der Gärtnerei fuhr sie zur
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