Das verletzte Gesicht
begeistert, was Charlotte Hoffnung gab. „Solange ich zur Schule gehe, könnte ich die Hausarbeit übernehmen, einkaufen und kochen. Großer Gott, ich glaube ja nicht, was ich da sage. Ich und putzen, ich mag gar nicht an meine Nägel denken. Aber ich kann es, du hast mir beigebracht, wie man eine Kloschüssel reinigt. Vielleicht kann ich dir noch andere Arbeiten abnehmen. Bügeln oder so.“
„Bevor du zur Hausunke mutierst, lass uns einen Darlehensvertrag austüfteln, der dich nicht zu meiner persönlichen Sklavin macht.“ Ernster fügte sie hinzu: „Ich möchte unsere Freundschaft nicht zerstören.“
„Nein, ich auch nicht.“
„In den nächsten Monaten werde ich viel zu Filmaufnahmen und Publicityzwecken unterwegs sein. Und ich möchte das Haus nicht gern unbeaufsichtigt lassen. Wie wäre es, wenn du den Job des Hausverwalters übernimmst?“
Melanie warf begeistert die Arme hoch. „Klar, warum nicht?“
„Also“, Charlotte streckte eine Hand aus. „heißt das, du gehst zur Kochschule?“
Melanie nahm die Hand. „Wenn Gott eine Tür schließt, öffnet er ein Fenster, sagte meine Großmutter immer.“ Sie gaben sich die Hände und umarmten sich. Melanie lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Und ich habe dich immer für geizig gehalten, dabei bist du einer der großzügigsten Menschen, die ich kenne.“
„Ich bin nur vorsichtig mit meinem Geld, damit ich es für wichtige Dinge ausgeben kann.“
Charlotte setzte sich aufs Sofa und lehnte sich in die Kissen. Ihr ganzer Körper schmerzte. Jetzt, da sie zu Hause war, verlangte jeder Muskel nach Erholung.
„Du siehst müde aus“, stellte Melanie fest und setzte sich neben sie.
„Ich bin müde.“
„Nimmst du deine Vitamine?“
„Ich gelobe Besserung.“
„Du machst mich verrückt. Was soll man da tun? Das nächste Mal packe ich sie dir höchstpersönlich ein. Und wenn du mit einem Beutel voller Vitamine zurückkommst, werde ich ungemütlich.“
„Sei nachsichtig, ich hatte so viel zu tun …“
„Umso mehr Grund, auf die Gesundheit zu achten. Charlotte, du siehst nicht gut aus. Ich mache mir Sorgen um dich. Du verlierst Gewicht.“
„Nur ein paar Pfund.“
„Mindestens fünf. Hast du wieder Kopfschmerzen?“
„Mm“, bestätigte sie leise. „Sie treten häufiger auf. Migräne, sagt der Doktor. Ich bin mir da nicht so sicher. Meine Gelenke schmerzen auch. An bestimmten Stellen, Handgelenke, Zehen- und Hüftknochen.“ Besonders tat ihr die Stelle weh, wo Melanie sie im Wasser geschlagen hatte, aber das behielt sie für sich.
„Jetzt weiß ich, warum du so gut mit Mrs. Delaney ausgekommen bist. Ihr zwei alten Tanten habt euch eure Wehwehchen geklagt.“
„Haben wir“, bestätigte sie schmunzelnd. Sie streckte sich auf dem Sofa aus, schüttelte die Schuhe ab und deckte sich mit der verschlissenen alten Decke zu, die ihre Mutter vor Jahren für sie gestrickt hatte. „Kannst du die Lichter ein bisschen dimmen, Mel, bitte? Ich brauche ein paar Minuten Ruhe, bevor Michael kommt. Ich will ihn nach der langen Trennung nicht wie ein klapperiges altes Weib begrüßen.“
Melanie betrachtete die auf dem Sofa liegende Charlotte mit geübtem Auge. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid mit einem fabelhaften Schnitt. Prada vermutlich. Die Goldkette und die passenden Ohrringe waren geflochten und hatten den sanften Schimmer von achtzehn Karat. Arme und Hände waren nackt. Am schlanken Handgelenk trug sie lediglich eine schlichte schwarze Movado-Uhr mit einem dünnen Lederarmband. Ein Geschenk von Michael. Melanie seufzte und ahnte, dass Charlotte Godfrey auch mit vierzig noch auf ihre unnachahmliche Art gut aussehen würde. Um diese zeitlose Schönheit beneidete sie sie am meisten.
Charlottes charakterliche Qualitäten machten es jedoch schier unmöglich, ihr etwas zu missgönnen. Und verglichen mit ihren Kindheitsproblemen schämte sie sich der eigenen Probleme geradezu. Charlotte war weise über ihr Alter hinaus und hatte den Mut gefunden, ihr Leben grundlegend zu verändern. Da konnte sie wenigstens den Versuch wagen, etwas Neues anzufangen.
Melanie ging hinüber und zog Charlotte die Decke bis unters Kinn. Wie blass sie war, fast bleich. Freddy übte zu viel Druck aus, aber sie setzte sich auch selbst unter Druck. Charlotte Godowski … Charlotte Godfrey … sie blieb ihr ein Rätsel. Sie hatte Schönheit und Erfolg, was trieb sie nur so hart an?
Charlotte starrte in Michaels Armen in die rötlich blauen Flammen des Kaminfeuers.
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