Das verletzte Gesicht
Agent, und er ist gut in seiner Arbeit. Ich komme nicht ohne ihn aus.“ Tief durchatmend fügte sie hinzu: „Meine Karriere bedeutet mir viel. Ich bin ihr verpflichtet und deshalb auch ihm. Sie kommt gerade erst in Fahrt, und ich möchte nicht, dass mir etwas dazwischen funkt.“
„Oder jemand?“
„Warum sagst du das? Ich liebe dich. Ich sehe keinen Grund, warum meine Karriere unserer Liebe im Weg stehen sollte. Du musst nur Verständnis für meinen Beruf aufbringen. Du darfst nicht eifersüchtig sein, Michael.“
Er wandte sich ab, nahm sein Champagnerglas und trank es auf einen Zug leer. „Eine Karriere ist vielleicht nicht alles im Leben.“
Sie sah ihn an, doch seine dunklen Augen waren starr auf das Feuer gerichtet. „Was meinst du?“
Er erzählte ihr schließlich von Bobby und seinem Kampf gegen Aids. Und dann mit stockender Stimme von seiner Entscheidung, so lange in Kalifornien zu bleiben, bis Bobbys Gesundheit sich entweder stabilisiert oder er ihn in den Tod begleitet hatte. „Meine Karriere ist mir nicht mehr so wichtig, wie sie einmal war“, erklärte er. „Wenn ich bei deinen Zielsetzungen unterschwellig heraushöre, dass du unsere Beziehung deiner Karriere opfern würdest, mache ich mir natürlich Sorgen. Bedeute ich dir denn so wenig?“
„Nein, natürlich nicht, Michael. Das sage ich doch gar nicht. Es ist nicht dasselbe.“
„Natürlich ist es das.“
„Nein. Du bist Architekt. Deine Ausbildung ist abgeschlossen. Du kannst überall und zu jeder Zeit tätig werden. In meinem Beruf ist das anders. Ich muss es jetzt schaffen oder meine Chancen für immer aufgeben. Dies ist mein Augenblick.“
„Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Augenblicken. Bilde dir nicht ein, dies wäre der einzige. Glaube mir, der Mensch denkt, und Gott lenkt.“ Er nahm ihre Hände in seine. „Wichtig ist unsere Beziehung: die Liebe, die Ehrlichkeit, das völlige Vertrauen. Das erlebt man nicht alle Tage. Das muss beschützt und behütet werden wie eine junge Pflanze.“
„Da bin ich deiner Meinung. Aber meine Karriere bedeutet mir viel. Warum sollte ich deiner Meinung nach eine Wahl treffen müssen?“
„Ich habe geglaubt, meine Position in der Architekturfirma in Chicago bedeute mir alles. Doch was ich dafür aufgegeben hatte, merkte ich erst, als ich heimkam. Mein Bruder war mir fremd geworden. Er wandte sich nicht mal an mich, als er herausfand, dass er sterbenskrank war. Was glaubst du, wie ich mich dabei gefühlt habe? Was bedeutet Karriere angesichts einer solchen Tragödie? Ich hatte ihn im Stich gelassen, als er mich am meisten brauchte.“ Er presste die Augen zusammen, und Charlotte umarmte ihn.
„Am schlimmsten ist, dass er unseren Eltern eine Lüge vorlebt“, fuhr er fort. „Mein Vater und meine Mutter wollen seine Homosexualität nicht wahrhaben. Sie verschließen die Augen vor seiner Krankheit – genau wie ich es getan habe. Er kann sich nicht überwinden, offen mit ihnen zu reden, weil er Ablehnung fürchtet. Er schweigt, obwohl ihn die Krankheit vielleicht umbringt. Ich weiß als Einziger davon.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hasse solche Lebenslügen. Wir sind eine Familie, wir sollten ehrlich miteinander umgehen.“
Mit heftigem Herzklopfen ermahnte sie sich, Michael endlich die Wahrheit zu sagen. Jetzt oder nie.
„Michael, du hasst Bobby nicht etwa dafür, dass er es dir gesagt hat? Weil er dir damit Sorgen und Probleme bereitet?“
„Bobby hassen? Natürlich nicht. Er war ehrlich zu mir, damit kann ich leben. Ich hasse meine Eltern, weil sie Bobby das antun. Weil sie ihn zu der Lüge zwingen.“
Sie öffnete den Mund, ihm alles zu erzählen. „Michael, ich …“
„Was?“ Er hob ihr Kinn an und sah ihr in die Augen.
Sie zögerte. „Ich liebe dich.“
Er sah sie liebevoll an. „Warte hier“, bat er, stand auf und ging zu seiner am Boden liegenden Kleidung.
Charlotte beobachtete ihn. Er war wunderbar, und sie liebten sich so sehr. Warum konnte sie es ihm dann nicht sagen?
Er suchte in den Jacketttaschen und zog ein Schmuckkästchen heraus. Er klappte den Deckel auf, entnahm ihm einen Ring und kehrte zu ihr zurück.
„So hatte ich es eigentlich nicht geplant“, begann er, sobald sie wieder in seinen Armen lag, und hielt den Ring an ihre Hand. „Damals in Maine, als ich dich fast verloren hätte, wurde mir klar, dass du mein Leben bist. Wirst du meinen Ring tragen, Charlotte? Willst du mein Leben teilen?“
Charlotte starrte den Marquis-Diamanten,
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