Das Verlies der Stuerme
schwarzen, weil diese angeblich von einem Samothanbeter verflucht worden waren.«
»Und warum seid Ihr dann geblieben, Herr Dogha?«
»Finta«, sagte der Händler. »Nennt mich Finta. Wer mein Leben gerettet hat, der soll mich bestimmt nicht mit Herr anreden.«
»Gut, Finta«, sagte Ben. »Gern. Weshalb bist du also geblieben? «
»Nun ja, es ist noch immer meine Heimat und eine reiche Stadt, dort lassen sich trotz allem gute Geschäfte machen. Der Transport ins Landesinnere fällt über den Dherrn leicht. Ich habe viele Kontakte im Großtirdischen Reich, aber viele sind darauf aufgebaut, dass ich von Rhaconia aus operiere. Und – das muss ich gestehen – meist beschlagnahmt der Orden meine Ware auch nicht, sondern kauft sie, und dabei erziele ich einen guten Preis. Schließlich hat der Orden Geld.« Finta lächelte entschuldigend. »Teure Tücher und fremde Gewürze sind nun mal nicht für Bauern und Handwerker bestimmt. Und im nahen Kloster werden oftmals die Kinder von Adel und Handel aus dem ganzen Großtirdischen Reich ausgebildet. Das sind Familien, mit denen man gern ins Geschäft kommt. Na ja, das nächste große Geschäft wird jetzt wohl noch eine Weile warten müssen.«
»Wieso?«
»Ihr habt gesehen, was eben mit meinen Schiffen geschehen ist und …«
»Es waren mehrere?«, unterbrach ihn Ben.
»Zwei. Und die liegen jetzt auf dem Grund des Meeres, oder treiben irgendwo umher. Ohne sie bin ich hoch verschuldet, und es wird dauern, bis ich neue Ware herbeigeschafft habe, neue Schiffe ausgerüstet …« Er zuckte mit den Schultern. »Und im Moment bin ich nicht mehr sicher, ob ich mit dem Orden überhaupt noch Geschäfte machen will. Nach allem, was ihr eben kurz angedeutet habt, habe ich wohl den letzten Rest Glauben an ihn verloren. Hellwah mag ein guter Gott sein, aber sein Orden scheint mir einen anderen Weg eingeschlagen zu haben. Einen Weg, den niemand gutheißen sollte.«
ZWEITER TEIL
Rhaconia
EINE ALTE SAGE
A ls sich die Dämmerung auf die Insel senkte, hatte sich der Sturm vollständig beruhigt und das Meer lag beinahe reglos im letzten Licht des Tages. Rot wurde es auf den sanften Wellen gespiegelt. Alle Wolken waren vom Himmel verschwunden, und Ben konnte am Horizont einen schmalen Streifen Land erkennen. Dort lag das Großtirdische Reich, in das sie morgen zurückkehren würden.
Noch immer saßen sie beisammen und unterhielten sich über die Lügen des Ordens und die Wahrheit über die Drachenflügel. Bens besondere Gabe als Drachenflüsterer verschwiegen sie dabei jedoch.
Finta erzählte ihnen von zahlreichen gefährlichen Reisen in ferne Länder und den seltsamsten Gewürzen, die er je entdeckt hatte, so wertvoll wie Gold. Anula behielt dabei die riesige Festung im Blick.
»Woher willst du wissen, dass dort niemand lebt?«, fragte sie irgendwann.
»Kennst du wirklich nicht die Geschichte vom Verlies der Stürme?«, erwiderte Finta.
»Nein. Aber Geschichten interessieren mich nicht, sie können so falsch sein wie die Legende des Ordens. Weshalb also bist du so sicher? Warst du schon einmal hier? Ist das deine Festung?«
»Nein.« Finta lächelte. »Die Festung gehört niemandem, und niemand war seit Menschengedenken hier.«
»Woher willst du das wissen?« Anula starrte ihn an.
»Hast du irgendwo ein Anzeichen von Leben gesehen? Eine Bewegung, irgendetwas?«
»Nein, aber …«
»Was für eine Geschichte?«, fragte Yanko den Händler. »Wenn dieses Gebäude wirklich ein Verlies der Stürme sein soll, dann ist es kein sehr gutes, bedenkt man den Sturm, der vorhin hier tobte. Besonders eingekerkert schien der Bursche mir nicht zu sein.«
»Er hat dort draußen getobt, hier war alles ruhig, wie du sicher bemerkt hast«, sagte Finta. »Die Stürme toben nur draußen auf dem Meer.«
»Was willst du damit sagen?«
»Also gut, hört mir zu. Ist aber keine kurze Geschichte, macht es euch also bequem«, sagte Finta und erzählte ihnen die Sage vom Verlies der Stürme.
Es war in den Tagen kurz nachdem sich die Götter auf den höchsten Berg der Welt zurückgezogen hatten und nur selten noch das Land der Menschen besuchten. Die jungen Hafenstädte Rhaconia und Venzara erblühten damals und wetteiferten um die Vorherrschaft auf See. Keine andere Stadt, kein anderes Land konnte ihnen in dieser Hinsicht das Wasser reichen, ihre Segelschiffe waren groß und dennoch schnittig. Stolz durchpflügten sie das Meer, reisten entlang der bekannten Küsten bis in weit entfernte Länder, wo die
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