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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Seeleute Handel trieben und auf fremdartige Wesen stießen, von denen sie warme Felle oder Horn so hart wie Edelstein erbeuteten.
    Sie waren die Ersten, die sich auf das offene Meer hinauswagten, und brachten schweren Schmuck und Berge von Gold nach Hause, dazu Blausilber für zahlreiche Klingen
der Ordensritter. Und für die Rüstungen der Stadtherren und obersten Würdenträger sogar die unzerstörbare Rinde der seltenen Goldesche.
    Schon bald wuchs der Reichtum der beiden Städte ins schier Unermessliche, und nicht wenige Händler bestreuten gar ihr abendliches Mahl mit dem Staub von Diamanten und Saphiren, um vor Gästen mit ihrem Wohlstand zu protzen. Viel zu hoch türmten sich Fleisch und Beilagen auf den Tellern, rubinrot, topasgelb und smaragdgrün schimmerten sie im Licht der untergehenden Sonne oder schweren Kerzenständer. Bevor die reichlichen Überreste anschließend den hungrigen Dienern überlassen wurden, wurden sie gründlich gewaschen, denn kein Unwürdiger sollte sich am Gemmenstaub bereichern. Lieber spülten die Herren diesen ins Meer.
    Grenzenlos schien der Reichtum zu wachsen, von überall schleppten die Händler Schätze und seltene Rohstoffe herbei, bis eines Tages Seetrolle in der Lagune der Zersplitterten Titanen auftauchten und die Häfen der beiden nahe liegenden Städte belauerten.
    Nicht grau wie ihre Artgenossen in den Bergen waren sie, sondern grün und blau und mit zottigen Haaren und Bärten, die an triefenden Tang erinnerten. Sie sagten von sich, sie seien die lebenden Verwandten der Riffe und Korallenbänke, die Söhne und Töchter von rauen Klippen und dem aufgewühlten Meer.
    Derartig gewaltig und stark waren sie, dass sie ihre klobigen, aber mächtigen Boote schneller ruderten, als ein Segelschiff im strammen Wind fuhr. Und so machten sie Jagd auf die Schiffe der Händler, enterten diese mit riesigen Dreizacken und schweren Äxten und erschlugen jeden, der sich
wehrte. Dann schaufelten sie alle Güter auf ihre Boote, versenkten die stolzen Handelsschiffe und verschleppten die überlebende Besatzung, um sie auf ihrer Insel zu mästen und zu fressen, denn wie ihre Brüder an Land waren sie grausame Menschenfresser.
    Die Schätze der Händler warfen sie beinahe achtlos in das Verlies unter ihrer Festung.
    Wer fortan ausgesandt wurde, das geraubte Vermögen zurückzugewinnen, scheiterte und landete selbst auf dem Grund des Meeres oder in den Menschenställen der Trolle. Es dauerte nicht lang, da legte kein Schiff mehr an oder ab in den Häfen von Venzara und Rhaconia. Die Händler fluchten und jammerten, doch kein Seemann war bereit, ein Schiff zu besteigen, das ihn unweigerlich in den Kochtopf der fürchterlichen Seetrolle führen würde.
    Schon bald waren die rivalisierenden Städte sicher, dass die Seetrolle eine Strafe der Götter waren, und die Straßenprediger von Venzara gaben dem ungezügelten Lebenswandel in Rhaconia die Schuld, während die Priester von Rhaconia mit erhobenem Zeigefinger die ketzerischen Gedanken und Handlungen in Venzara anklagten.
    Die Rivalität drohte in offene Feindschaft und blutige Auseinandersetzungen umzuschlagen.
    Damals lebte auch ein junger Mann namens Ailon, von hagerer Statur, jedoch flink und gewitzt. Er war der Sohn einer armen Näherin aus Rhaconia und eines unwirschen Gerbers aus Venzara und deshalb in keiner der Städte willkommen. Stets hieß es, er sei einer von den anderen, von denen, die Unglück über sie gebracht hätten.
    »Du Bastard gehörst nicht zu uns!«, grollten sie hier wie da, und Ailon wurde gehänselt, gejagt und verprügelt, bis er
schließlich beide Städte verließ und mit bebender Stimme fürchterliche Rache schwor.
    Während er nun einsam und zornig durch fremde Landstriche zog, entdeckte er, dass er über eine außergewöhnliche Gabe verfügte: Er war ein Beutelnäher.
    Mit der langen Nadel, die er von seiner sorgenden Mutter zum Abschied bekommen hatte, konnte er einen Essensbeutel nähen, der sich nie leerte, solange man ihn nicht vollständig umstülpte. Tat er eine Handvoll süßer Gelbbeeren hinein, hatte er fortan so viele Gelbbeeren, wie er verspeisen konnte. Verwahrte er einen geräucherten Hirtenfisch darin, so vermehrte sich dieser bis in alle Ewigkeit, stets frisch und wohlschmeckend, als habe er ihn eben aus dem Kamin gezogen und nicht aus einem kleinen Beutel.
    Fortan litt er nie wieder Hunger, diese Furcht seiner Mutter hatte sich nicht erfüllt. Als er jedoch auf einem Markt geräucherten Fisch aus

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