Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
Vom Netzwerk:
seinem Beutel verkaufen wollte, zerfiel der Fisch zu einem stinkenden, faulenden Brei, und Ailon musste wieder einmal vor einer aufgebrachten Menschenmenge davonlaufen, die ihn Betrüger und Giftmanscher schimpfte. Und so hatte sich sein Traum von leicht verdienten Gulden nicht erfüllt.
    Einen Beutel zu nähen, der Münzen vermehrte, gelang ihm nicht.
    Doch in den folgenden Monaten und Jahren fertigte er einen Beutel der Tarnung, in den er selbst hineinsteigen konnte und reichlich Platz fand, obschon dieser nur faustgroß war. Ebenso einen Beutel des Wohlgeruchs, in dem er den Duft von Blumen einfangen und diesen jederzeit wieder abgeben konnte. Er lernte, die betörendsten Düfte zu mischen, und diese stäubte er auf die Haut junger Frauen
und gewann so ihre Gunst, doch leider auch den Neid gewalttätiger Nebenbuhler. Glücklicherweise hielt sich deren Zahl in Grenzen, während die seiner Freunde wuchs, wie auch das Ansehen, das er hier wie da genoss.
    Über die Jahre schwanden langsam auch seine einstigen Rachegedanken, zumal sein Glück beständig zunahm, während die Seetrolle den Städten weiter zusetzten. Bald sah er in Venzara und Rhaconia nur noch die Heimat seiner Eltern, die einstigen Demütigungen und Ablehnungen belasteten ihn nicht mehr. Und so kehrte er eines Tages zurück, sprach bei den beiden Stadtfürsten vor und bot an, die Seetrolle zu vertreiben, wenn er dann nur die Schätze behalten dürfe, die diese im Lauf der Zeit geraubt und gehortet hatten.
    »Wie willst du schmächtiger Bursche das anstellen?«, fragten die Fürsten.
    »Das lasst nur meine Sorge sein«, antwortete Ailon. »Nur sichert mir die Schätze der Trolle zu.«
    »Nun gut, so sei es.« Die Herrscher schlugen ein, doch innerlich lachten sie über diesen großspurigen Fremden. Wie sollte ihm gelingen, was ihre Streitkräfte nicht vollbracht hatten? Doch was hatten sie schon zu verlieren? Verloren waren die Schätze ohnehin, und sollte der junge Mann tatsächlich Erfolg haben, wäre der Seeweg wieder frei, um neue anzuhäufen. Wenn nicht, dann war nur ein Fremder gestorben.
    Kein Kind meiner Stadt, dachte jeder der zwei Fürsten bei sich.
    Und so machte sich Ailon auf den Weg. Er wanderte an der Küste entlang, weit in den Süden, wo die Fischerdörfer von einer schrecklichen zweiköpfigen Seeschlange heimgesucht wurden. Ihre Mäuler waren so groß, dass sie Kinder
mit einem Bissen verschlang, ihr peitschender Schwanz so stark, dass sie mit einem einzigen Hieb ein Boot versenken konnte. Ihre Haut war härter als Stahl und von keiner Waffe zu durchdringen.
    Als hätte er nie von dieser Gefahr gehört, setzte sich Ailon pfeifend auf einen zerklüfteten Felsen, der weit ins Meer hinausragte, und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Gemächlich öffnete er seinen Beutel des Wohlgeruchs, in dem sich eine süßlich-schwere Duftmischung befand, der bislang keine Frau hatte widerstehen können. Beinahe zärtlich blies er ein Duftwölkchen hinaus aufs Meer und wartete.
    Es dauerte nicht lange, dann warf sich die schreckliche Seeschlange mit aufgerissenem Maul an Land, um ihn zu fressen, doch er hauchte ihr den süßen und schweren Duft entgegen und betörte damit das Untier. Zischend und züngelnd lag die Schlange nun vor ihm, zwanzig Schritt lang und unfähig, ihn anzugreifen oder die Quelle des Wohlgeruchs zu verlassen. Ruhig blieb Ailon sitzen und ließ immer wieder ein Duftwölkchen aus seinem Beutel aufsteigen, wenn die betörende Wirkung zu verblassen drohte. Die Sonne ging unter und wieder auf.
    Tagelang saßen sie sich gegenüber, und Ailon kämpfte verzweifelt gegen den Schlaf. Würde er einnicken und den Beutel verlieren, würde der Wind oder eine Welle ihn forttreiben, wäre es um ihn geschehen. Drohten die Augen ihm zuzufallen, biss er sich auf die Lippe oder kniff sich in Arm oder Bein. Er klemmte sich Hölzchen unter die schweren Lider und spritzte sich wieder und wieder kaltes Wasser ins Gesicht. Zwei elend lange Wochen hielt er sich auf diese Weise wach, und dann endlich begann sich die Schlange zu häuten.

    Lauernd beobachtete er sie dabei, und in dem Moment, als sie ihre Haut abwarf, schnellte der flinke Ailon vor und stach das Untier tot, denn die neue Haut war noch frisch und verwundbar. Nun konnten die Fischer der Küste wieder ihre Familien versorgen und die Kinder ungefährdet am Strand spielen. Ailon rollte die riesige abgelegte Schlangenhaut zusammen und stopfte sie in seinen unermesslichen Beutel der

Weitere Kostenlose Bücher