Das Verlies der Stuerme
gelegene Fensterbrett im Erdgeschoss
und klammerte sich am Gitter fest. Ben stellte sich mit dem Rücken zur Wand vor ihn und hielt sich die verschränkten Hände vor den Bauch, sodass Nica sie als Tritt nutzen konnte. Von dort kletterte sie auf seine Schultern und über seinen Kopf und Yanko weiter hinauf, bis sie das obere Fensterbrett erreichen konnte und sich hinaufhangeln. Yanko half so gut es ging mit der ausgestreckten Hand nach, während Ben gleichzeitig versuchte, Yanko zu stützen, der sich nur noch mit der Linken festhielt, und Nica im Auge zu behalten, falls sie fiel. Sie fiel nicht, sondern verschwand leise im Inneren.
»Hoffentlich ist das kein Schlafzimmer«, murmelte Yanko und starrte bang hinauf. Doch kein überraschter Schrei ertönte, auch nicht die Geräusche eines Handgemenges.
»Ich weiß nicht, ob hier überhaupt jemand über Nacht ist«, erwiderte Ben. Dann warteten sie schweigend und lauschten. Nichts war zu hören, rein gar nichts.
»Eigentlich wollten doch wir die Mädchen mit unseren Taten beeindrucken«, sagte Yanko irgendwann. »Und jetzt lassen wir Nica vorgehen. Das ist irgendwie falsch.«
»Hm«, brummte Ben. Wahrscheinlich babbelte Yanko nur vor sich hin, weil er nervös war. Würde Nica jetzt drinnen erwischt werden, könnten sie ihr von draußen nicht beispringen.
»Wo bleibt sie nur?«, murmelte Yanko nach einer Weile und trat von einem Bein auf das andere. Ben befürchtete, er würde jederzeit das Fenster eintreten oder nach Nica rufen, wenn sie nicht sofort erschien.
»Jetzt wird es langsam …«, setzte Yanko an.
»Nein«, knurrte Ben sofort.
»Aber …«
»Wart noch ein wenig.«
Yanko murrte, trat aber weiter tatenlos hin und her, bis sich endlich die Hintertür öffnete und Nica sie breit angrinste. In der Hand hielt sie den Schlüssel. »Es ist keiner hier.«
»Wurde auch Zeit«, murmelte Yanko, dann huschte er mit Ben hinein.
Nica führte sie durch den unteren Schreibraum mit drei Pulten, einem Tresen und einem Regal mit unterschiedlichsten Pergamenten hindurch, in eine kleine Seitenkammer, in der sich nur ein schmales Fenster zum Hinterhof befand. Schnell hatten sie es mit einem Brett zugestellt, sodass kein Licht nach draußen dringen konnte, und entzündeten eine Handvoll Kerzen. Hier würden sie in Ruhe schreiben können.
Aus dem Schreibraum holten sie einen Stapel Pergamente und verschiedene Tinten und Federn. Mit ihren Dolchen brachen sie die Schublade unter dem Tresen auf, wo sie zwei Siegel und rotes Wachs entdeckten, die ausgesprochen wichtig und offiziell aussahen. Die Münzen daneben ließen sie achtlos liegen.
»Wunderbar. Dann lasst uns jetzt den Abt des hiesigen Klosters in die Pfanne hauen.« Yanko rieb sich die Hände, und Nica schrieb mit großen Buchstaben auf das erste Pergament: GESUCHT!
»Wie heißt der Kerl?«, fragte sie.
»Keine Ahnung«, antwortete Yanko.
»Woher soll ich …?« Ben starrte seine Freunde an, dann lachte er los. Was war er für ein sumpfiger Trottel! Das hätte er Finta oder einen Passanten fragen können, ohne aufzufallen.
»Und jetzt?«
»Nehmen wir einfach den Abt vom Kloster mit den zwölf
Zinnoberzinnen«, sagte Ben. »Abt ist Abt. Und sein weißer Drache wird ihn schon nicht gefressen habe.«
»Leider, ja.«
Also schrieb Nica langsam, während sie über jede Zeile debattierten, denn gesehen hatte ihn von ihnen bislang nur Anula.
KETZER GESUCHT
Lebend
10.000 Gulden Belohnung
Herr Morlan – anmaßend, strenge Züge,
dünnhäutig, ziemlich alt, gekleidet in die Tracht eines
Abts. Schnarcht.
Er ist des Verrats am Großtirdischen Reich und
der nächtlichen Ausübung ketzerischer Handlungen
an sich selbst verdächtig, sowie der verbotenen
Einfuhr gefälschter weißer Drachen. Gibt sich als
Abt aus.
Vorsicht! Mit Samoth im Bunde.
Lügner!
Wurde zuletzt gesehen im Kloster mit den zwölf
Zinnoberzinnen.
Dann stempelten sie das Pergament mit einem Siegel und fertigten ein Dutzend weitere mit dem gleichen Inhalt an, nur manchmal ließ Yanko ihn furzen oder rülpsen statt
schnarchen. Anschließend versuchten sie sich an die Namen all der Ritter zu erinnern, die sie damals gefangen genommen hatten und die zum Teil von den Drachen auf eine abgelegene Insel verbannt worden waren. Darüber hinaus erfanden sie weitere Namen und gaben den Gesuchten möglichst wenig konkrete Beschreibungen, sodass sie auf zahlreiche Ritter zutrafen und damit jeden verdächtig machten. Einen Steckbrief nach dem anderen verfassten sie,
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