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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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genickt? Hatte er sie gesehen, oder führte ihn sein normaler Rundgang näher heran? Dann würde er sie entdecken, fürchtete Ben plötzlich.
    Langsam zogen sie sich weiter zurück, tiefer in den Schatten hinein. Als sie die Tempeltür erreichten, bemerkte Yanko, dass diese nicht abgeschlossen war. Wie in Trollfurt. Dort drinnen musste es ein Versteck geben.
    Die Nachtwächter auf dem Platz verabschiedeten sich voneinander und schlurften in unterschiedliche Richtungen davon. Keiner kam zum Tempel herüber.
    Ben hörte, wie Nica erleichtert die Luft ausstieß. Sein Herz schlug schnell, nur langsam verließ die Anspannung seinen Körper. Nach einem tiefen Atemzug wollte er vorschlagen,
die letzten vier Steckbriefe auszuhängen und dann zu verschwinden, als Yanko einfach die Tempeltür aufschob und hineintrat.
    »Yanko!« Nica schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und folgte ihm. Sie sah nicht glücklich aus.
    Ben schloss sich ihnen an, damit sie nicht noch getrennt würden.
    »Bist du irre?«, zischte Nica, als sie Yanko eingeholt hatte. »Wenn hier jemand ist?«
    Doch er grinste nur. »Hier ist keiner. Es ist Nacht. Ich leg nur schnell eine Bekanntmachung vorn auf die Kanzel. Mit etwas Glück liest die morgen einer vor, bevor er merkt, was das überhaupt ist. Wenn das ein verschlafener Priester tut, dann haben wir sie.« Mit glänzenden Augen huschte er Richtung Altar.
    »Er ist wirklich irre«, sagte Nica, aber nun klang es eher bewundernd. Ben verspürte den plötzlichen Drang, etwas noch Verrückteres zu tun, Yanko zu übertreffen und Nica zu beeindrucken, obwohl sie nicht seine Freundin war. Oder gerade deswegen. Für einen Moment dachte er daran, die detaillierten Wandmalereien zu ergänzen. Den Drachen mit Tinte riesige Schwingen zu malen oder den Rittern die Augen zu schwärzen, sodass sie blind und tot wirkten, und Hellwah würde er … dem Sonnengott könnte er …
    Nein.
    Nein, auf keinen Fall würde er das Bild eines Gottes verschandeln, das erschien ihm dann doch zu riskant. Auf jeder Darstellung wurde seine Größe und Macht gepriesen, manchmal sein Zorn gezeigt. Niemand forderte einen Gott heraus. Auch wenn sie nicht mehr auf Erden wandelten, schließlich konnte man nie wissen, ob der Geschmähte nicht
doch von seinem Berg herunterstieg und einen mit dem Licht der Sonne blendete oder mit ihrem Feuer verbrannte.
    So, du forderst jemanden nicht heraus, nur weil er mächtiger ist?, hörte Ben Aiphyrons Stimme in seinem Kopf und fluchte lautlos. Nein, das war es nicht, es war nur … Woher sollte er denn wissen, ob Hellwah die Untaten und Lügen seines Ordens guthieß? Wenn er das wüsste, wüsste er, ob er den Tempel beschmieren durfte. So ließ er es lieber sein. Schließlich hatte Hellwah selbst ihm gegenüber nie ein böses Wort über geflügelte Drachen verlauten lassen. Mit Angst vor einem Gott hatte das bestimmt nichts zu tun.
    Vielleicht nächstes Mal, dachte er noch, dann kehrte auch schon Yanko zurück.
    »Können wir jetzt?«, fragte Nica ungeduldig, und Yanko nickte.
    Vorsichtig schlichen sie aus dem Tempel, hefteten die letzten Pergamente an die Wand für die Aushänge und eilten in Richtung Hafen. Sie hatten es tatsächlich geschafft! Mindestens fünf Dutzend Steckbriefe aufgehängt, vielleicht zehn. Übermütig lachten sie, klopften sich auf die Schultern und jagten sich ausgelassen gegenseitig. Als sie um eine Kurve tobten, wären sie fast in die Arme eines Nachtwächters gerannt. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Schein seiner Laterne ihre Gesichter erfassen konnte, wirbelten sie herum und stürmten davon.
    »Halt!«, rief der Wächter und folgte ihnen. Er war allein, und doch rannten sie, als wäre die ganze Stadt hinter ihnen her. Auf keinen Fall durften sie sich erwischen lassen, die Taschen voller abgerissener Steckbriefe mit ihren Gesichtern. Da würden sie sich nicht herauswinden können, der Galgen drohte.

    Nein, niemals!
    Sie mussten nur schneller sein. Wild schlug Bens Herz, die schlenkernde Tasche prallte immer wieder gegen seine Flanke und auf den Hüftknochen, er keuchte vor Anstrengung. Der Wächter blieb ihnen hartnäckig auf den Fersen, doch mit jedem Schritt vergrößerte sich ihr Vorsprung ein winziges Stück.
    Wenn sie das durchhielten, würden sie entkommen. Irgendwann musste er sie aus den Augen verlieren, und so bogen sie an jeder Kreuzung ab und schlugen Haken wie ein flüchtender Wurfhase.
    Als sie irgendwann mit stechenden Seiten in eine schmale Gasse tauchten,

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