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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Mann im Hafen vor?«, fragte Aiphyron. »Er hat ein Mädchen in eurem Alter dabei. Oder doch lieber den Schäfer? Oder …?«
    »Den im Hafen«, beschloss Ben, bevor Aiphyron alle Einwohner herunterleierte, die er erkennen konnte. Einer erschien ihm so gut wie jeder andere. Sie stürzten hinab und landeten auf der schmalen schrägen Freifläche zwischen den ersten Häusern und dem kleinen Hafen.
    »Guten Tag«, sagte Ben ausgesprochen höflich und stieg von Aiphyron, während Yanko und Anula die ersten Häuser im Blick behielten, damit sie nicht von dort überrascht wurden. Irgendwo wurde eine Haustür zugeschlagen.
    Der Fischer, der ganz versunken sein Boot repariert und dabei der jungen Frau an seiner Seite etwas erklärt hatte, sah auf. Kurz zuckte er zusammen, dann starrte er sie ebenso
missmutig wie misstrauisch an. Sein kantiges Gesicht war von Alter und Wetter zerfurcht, die Mundwinkel zeigten weit nach unten, die Nase war breit und hatte mindestens einen Bruch überstanden. Furcht funkelte in seinen Augen, aber er ließ sich von ihr nicht beherrschen. Wahrscheinlich hatte er genug Seeungeheuer und flügellose Drachen gesehen, um bei ihrem Anblick nicht in Panik auszubrechen. Langsam richtete er sich zu voller Größe auf, die Gelenke knirschten.
    »Bleib hinter mir, Vilette«, herrschte er die junge Frau an.
    »Ja, Vater«, hauchte sie. Sie war wohl ein, zwei Jahre älter als Ben und sah ihrem Vater ähnlich, doch die Nase war zum Glück nicht ganz so breit und nicht gebrochen. Sie zitterte.
    »Was wollt ihr?«, knurrte der Fischer und packte das große Beil aus seinem Werkzeugkasten. Die Schneide blitzte hell in der Sonne, und Ben war überzeugt, der Fischer schliff es jeden Tag, nur so zum Vergnügen, so grimmig wie er aussah.
    »Reden«, erwiderte Ben. »Nur reden.«
    »Na, dann rede.«
    »Willst du dafür nicht dein Beil weglegen? Das ist wirklich nicht …«
    »Sehe ich so dämlich aus, Bursche?«
    »Äh, nein.« Das war kein guter Anfang, ganz und gar nicht. Trotzdem versuchte es Ben mit einem Lächeln. Lächeln, immer lächeln. Egal, wie nervös er war.
    »Ich sehe gespannte Bögen an drei Fenstern«, teilte Yanko mit gepresster Stimme mit.
    »Und ein paar unfreundliche Gesichter mehr«, ergänzte Nica.
    »Weiter hinten lauert noch ein Bauer mit einer Heugabel.«

    »Schön.« Mit aller Gewalt hielt Ben das Lächeln aufrecht. Bögen waren nicht gut. Auch wenn die Drachen damit nicht ernsthaft verletzt werden konnten, sie vier Menschen konnten sterben. Ein gezielter Schuss, und alles war vorbei. Lächeln, immer nur lächeln. Wahrscheinlich schossen sie nicht zuerst, aus Angst vor der Rache der Drachen. Er räusperte sich und sagte: »Wir wollten euch nur mitteilen, dass geflügelte Drachen freundliche Geschöpfe sind. Und ganz und gar nicht verflucht.«
    »Sagt wer?«
    »Na, wir.« Ben strahlte und stieß Aiphyron mit dem Ellbogen in die Seite.
    »Genau«, sagte der Drache. »Und ich muss es wissen, ich bin schließlich einer.«
    »Du hast Flügel«, sagte der Fischer. »Also bist du Samoths und lügst.«
    »Nein«, knurrte Aiphyron. »Ich bin niemandes Geschöpf, ich lüge nicht.«
    »Nicht mal Hellwahs Geschöpf?« Der Fischer lachte kurz auf. »Dann existierst du gar nicht.«
    »Aber ich bin hier.«
    »Das sehe ich. Und das bedeutet, dass du lügst. Aber das verraten uns ja deine Flügel schon.«
    »Nein«, widersprach Ben nachdrücklich. »Er spricht die Wahrheit.«
    »Und warum soll ich dir Knirps glauben? Ich kenn dich nicht, du bist nicht von hier.«
    »Nein, bin ich nicht. Aber denk doch mal nach. Hat dich einer der freundlichen Drachen hier angefallen? Hat einer von ihnen dir Schaden zugefügt? Etwa versucht, dich zu fressen?«

    »Das kann eine List sein. Samoth ist ein Meister des Trugs.«
    »Ach ja? Meinst du? Laut den Legenden des Ordens fallen geflügelte Drachen aber wie rasend über Jungfrauen her. Sie können sich nicht beherrschen. Keine List, kein Trug, nur wilde Gier.«
    »Ich bin keine Jungfrau.«
    »Und deine Tochter?«
    Der Fischer nickte und warf einen kurzen eisigen Blick hinter sich. »Das ist mir sofort aufgefallen. Und du kannst dir sicher sein, dass ich ihr den Kopf waschen werde, sobald ihr verschwunden seid. Was für eine Schande! Wer auch immer es war, dem Kerl schlag ich den Schädel ein.«
    »Vater!« Entsetzt blickte das Mädchen ihn mit offenem Mund an, die Wangen gerötet. Das war Zorn, keine Scham, dachte Ben und starrte den Mann an, der schneller an der

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