Das Verlies der Stuerme
Jungfräulichkeit und Aufrichtigkeit seiner Tochter zweifelte als an einer alten Legende. Der Fischer drehte sich nicht zu ihr um.
»Du glaubst also einer alten Legende mehr als deiner Tochter?«
»Meine Tochter hat mich schon belogen, das ist menschlich. Aber die Legende ist göttlich und war schon wahr, bevor dieses Dorf errichtet wurde.«
»Ach ja? Wann hat denn der letzte geflügelte Drache euer Dorf angegriffen, wenn das so furchtbare Bestien sind?«
»Das ist lange her. Vor meinen Lebzeiten.« Der Fischer spuckte aus. »Dank der Drachenritter, die uns beschützen, sind wir sicher.«
»Beschützen? Und wo sind sie jetzt?«
»Ich denke, ihr seid freundlich und wir brauchen keinen Schutz?«
»Und ich dachte, du glaubst uns nicht? Wenn wir so gefährlich sind, warum fliehst du dann nicht längst?«
»Und überlasse euch meine Tochter? Was hältst du von mir?«
Ben starrte ihn an und musste ihn einen Moment für seine Tapferkeit bewundern. Ein einzelner Mann, der vier Drachen trotzte. »Ich denke, du bist ein mutiger Mann.«
Ein kurzes Lächeln huschte über die Züge des Fischers, dann versteinerten sie wieder. »Weißt du, es ist egal, was für süßliche Worte du von dir gibst. Einem Samothanbeter glaube ich kein Wort.«
»Ich bin kein Samothanbeter!«, fuhr Ben auf.
»Du bist in Begleitung geflügelter Drachen.«
»Weil sie Freunde sind! Um zu beweisen, dass sie nicht von Samoth verflucht sind!«
»Für wie einfältig hältst du mich eigentlich, Rotzbengel? Wenn ein Fisch zu mir sagt, er sei kein Fisch, dann glaube ich ihm nicht. Und wenn ein geflügelter Drache sagt, er sei keiner, dann …«
»Aber es sind geflügelte Drachen! Darum geht es doch!« Ben warf die Arme in die Höhe. »Es sind geflügelte Drachen, und sie sind friedlich!«
»Davon hat noch niemand gehört. Nicht eine einzige Geschichte gibt es darüber, und ich kenne sie alle. Ich wäre fast mal Drachenritter geworden.«
Schon wieder so ein Möchtegern- und Beinahe-Ritter, das konnte doch nicht wahr sein.
»Was brauchst du Geschichten, wenn du echte Drachen vor dir hast? Drachen, die dir nichts tun!«
»Geflügelte Drachen sind Lügner, wie oft denn noch. Darauf fall ich nicht rein.«
»Ach, verdammter vermooster Sturschädel!«, fluchte Ben. »Wir verschwinden.«
»Gleich«, sagte Aiphyron, stapfte zu dem Fischer hinüber, der sein Beil fester umklammerte und sich zitternd vor seine Tochter stellte. Immerzu lächelnd hob Aiphyron den reparierten Mast hoch und setzte ihn mühelos in die Aussparung im Rumpf, eine Arbeit für drei kräftige Männer. »Und jetzt schlag ihn fest.«
Der Fischer tat wie geheißen, dann brummte er: »Danke. Das heißt aber nicht, dass ich dir deswegen glaube.«
»Hatte ich bei so einem Sturkopf nicht erwartet.« Aiphyron drehte sich um und ließ Ben aufsteigen, dann flogen sie davon.
PALASTFÜHRUNG FÜR DEN GOTTESLÄSTERER
M ann, das war einfach genial.« Ben schwärmte eine halbe Stunde später noch immer von Aiphyrons spontaner Hilfsbereitschaft. »Ob der Kerl jetzt will oder nicht, er denkt in den nächsten Tagen über freundliche geflügelte Drachen nach.«
»Hauptsache, er lässt dabei seine Tochter in Ruhe«, sagte Nica.
Ben nickte, aber er befürchtete das Schlimmste für das Mädchen, so stur, wie der Vater gewesen war. Wahrscheinlich hielt er den Verlust der Jungfräulichkeit für schlimmer als den eines Arms. Vielleicht weil man von den Armen zwei hatte. Dabei müssten besorgte Väter doch eigentlich glücklich sein, wenn ihre Töchter nicht mehr das erste Ziel für geflügelte Drachen waren, wenn sie diese so fürchteten. Das waren also die Menschen, denen sie die Wahrheit bringen wollten.
»Ach was«, sagte Yanko. »Nicht alle Menschen sind so. Wir müssen es nur wieder und wieder versuchen, irgendwann überzeugen wir einen.«
»Ja, einen.« Anula lachte bitter. »Einen von wie vielen Tausend? «
»Wenn wir erst einmal einen haben, dann ist die Wahrheit in so einem Dorf angekommen«, sagte Nica. »Ihm glauben sie eher als uns Fremden, er überzeugt weitere. Oder bringt sie wenigstens dazu zu zweifeln, und solche Zweifel sind ein guter Anfang. Sie rütteln an der Lüge des Ordens.«
»Dann sollten wir am besten noch weitere Dörfer aufsuchen, während Ben in Rhaconia ist«, sagte Yanko. »Zweifel säen.«
»Und Aiphyron könnte noch ein paar Fischerboote reparieren«, ergänzte Juri. »Vielleicht steckt ja ein richtig geschickter Handwerker in ihm.«
»Klauenwerker«,
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