Das Verlies der Stuerme
zeigte sich auf dem Gesicht des ersten Torwächters eine Regung, und das war Abscheu.
»Ja. Die Leute dort sind extrem abergläubisch und schreiben ihr Heilkräfte zu.«
»Die trinken das?« Die Abscheu wuchs sichtlich.
»Was weiß ich, ich hoffe es nicht für sie. Zumindest zahlen sie einen Haufen Geld dafür. Wenn ihr euch also etwas dazuverdienen wollt, sammelt in nächster Zeit Drachenpisse.«
»Hm.« Der zweite Torwächter schien ernsthaft darüber nachzudenken.
»Und was willst du jetzt im Kloster?«, fragte der Erste, der wirklich schwer von Begriff schien.
»Ich muss sofort mit der Küche reden, dass die Fässer im Hafen verwechselt wurden. Sollte der Abt heute Gäste bekommen und ihnen versehentlich das falsche Getränk vorsetzen lassen, dann könnte das als äußerst grobe Beleidigung aufgefasst werden und zu bösen Konflikten führen.« Ben versuchte möglichst entsetzt zu blicken, um Mitleid zu erregen. »Und ich bekomme zwei Dutzend Hiebe mit dem
Rohrstock auf die Fußsohlen, weil ich zu spät gekommen bin. Vielleicht werden mir auch die Zehen gebrochen. Wer zu langsam ist, der muss auch nicht laufen können.«
»Von wem?«, fragte der erste Torwächter verdutzt. »Das ist keine übliche Strafe bei uns.«
»Von meinem Herrn«, sprudelte Ben hervor. »Dem das Fass gehört und …«
»Das ist doch egal«, unterbrach ihn der zweite Torwächter, dem langsam dämmerte, was gleich geschehen könnte, und trat zur Seite. »Der Abt hat tatsächlich einen Gast. Also eile dich!«
»Danke.« Ben huschte an ihnen vorbei und war froh, dass sie nicht nach dem Namen seines Herrn gefragt oder sonst einen Beweis für seine Geschichte verlangt hatten. Was für Trottel!
Kaum hatte er den Innenhof des Klosters betreten und befand sich im Sichtschatten des ersten Gebäudes, verlangsamte er seinen Schritt. Auf keinen Fall durfte er durch sein Verhalten auffallen. Dann würde ihn auch niemand beachten, denn auf den ersten Blick hatte er festgestellt, dass sich neben den Rittern, Knappen und Jungfrauen auch Stallburschen, Handwerker und kunstvoll rasierte Männer in vornehmer Kleidung hier aufhielten. Niemand fasste ihn länger ins Auge, also durchquerte er pfeifend und wie selbstverständlich den ersten Innenhof.
Er stapfte vorbei an den Pferdeställen, dem Ziegengehege und den übereinandergestapelten Wurfhasenkäfigen, ließ das Gebäude mit den hohen Fenstern rechts liegen, passierte die Hellwahkapelle mit den großen Fenstern aus buntem Glas und erreichte durch einen mit Reliefs verzierten Steinbogen zwischen Bibliothek und Gästehaus schließlich
den zweiten Innenhof. Dort hielten sich zahlreiche Knappen auf, doch heute marschierten sie nicht. Einige übten den Schwertkampf, andere putzten Sättel. Einer kniete auf dem Boden, blickte Richtung Sonnenuntergang und betete mit erhobenen Armen. Doch die meisten standen in drei Schlangen vor einer sieben Schritt hohen Holzkonstruktion, die grob einer steilen Bergwand nachempfunden war. Dahinter schlossen sich drei gespannte, zehn Schritt lange Seile an, die an drei glatten Holzpfählen endeten. Auf Kommando stürmten die jeweils vordersten Knappen los und kletterten um die Wette über dieses seltsame Ding, hangelten sich an den Seilen entlang und rutschten die Pfähle hinunter. Dabei zählten sie die Namen berühmter Ritter und Äbte in einem merkwürdigen Singsang und immer stärker keuchend auf. Ben schüttelte den Kopf; und er hatte nur die Torwächter für Trottel gehalten.
Der zweite Innenhof war deutlich größer als der schon gewaltige erste, denn hier befanden sich die Stallungen der Drachen. Ihr Fauchen war deutlich zu vernehmen, hin und wieder schabten Schuppen oder Krallen über Stein. Genussvoll sog Ben den angenehm erdigen Geruch ein, der von ihnen herüberdrang.
Vor den Stallungen befand sich eine bestimmt fünfundzwanzig Schritt lange Tränke, vor der vier Drachen lagen und Wasser schlabberten. Am gierigsten trank ein Drache mit meerblauen Schuppen und kurzer breiter Schnauze, der wohl eben im Kloster angekommen war und in der Länge beinahe so viel maß wie Aiphyron.
Doch es war nicht Aiphyron.
Dumpfe Enttäuschung machte sich in Bens Brust breit. Hatte er tatsächlich diesen Drachen vor dem Klostertor
gesehen und auf die Entfernung mit seinem Freund verwechselt?
Nun, das änderte nichts daran, dass Aiphyron hier sein musste. Vielleicht war er längst in einen Stall gesperrt worden.
An der Seite des Drachen stand ein Ritter, dessen Gesicht Ben
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