Das Verlies
Tod geführt, weil die Kugel sehr weit rechts eingedrungen ist und nicht mal den Darm verletzt hat. Im Prinzip war es nicht mehr als ein Streifschuss, auch wenn die Kugel stecken geblieben ist. Bei dem in die Brust hätte es schon anders ausgehen können. Die Kugel hat das Herz um etwa fünf Zentimeter verfehlt.«
»Was heißt das genau?«
»Er hatte einen Steckschuss etwas oberhalb des linken Lungenlappens zwischen dem Schlüsselbein und dem ersten Rippenbogen.«
»Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, seine Verletzungen sind nicht lebensgefährlich?«
»Nein, auf keinen Fall. Diese Verletzung ist zwar schmerzhaft, aber wenn keine unerwarteten Komplikationen auftreten, wovon ich ausgehe, kann er das Krankenhaus schon morgen Nachmittag oder spätestens am Samstag wieder verlassen. Er hat nicht einmal sonderlich viel Blut verloren, weil auch die Lunge nur unwesentlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die meisten Menschen denken eben immer noch, das Herz würde sich genau dort befinden, wo Herr Lura getroffen wurde. Und wer immer geschossen hat, er hat sich ziemlich dilettantisch angestellt.«
»Haben Sie die Kugeln aufbewahrt?«
»Selbstverständlich.« Er beugte sich nach vorn und reichte Durant einen kleinen durchsichtigen Plastikbeutel mit zwei Kugeln darin.
Durant betrachtete sie und sagte zu Hellmer: »Ziemlich kleines Kaliber, .22er? Oder was meinst du?«
»Bei Becker und der Lura war’s auch ’ne .22er«, antwortete Hellmer trocken.
»Dr. Förster, hat Herr Lura noch weitere Verletzungen?«
»Nur eine leicht blutverkrustete Beule am Hinterkopf.«
»Auch keine Verbrennungen?«
»Das schon, aber die sind nicht der Rede wert. Auf jeden Fall nicht schlimmer, als wenn Sie mal kurz auf eine heiße Herdplatte fassen. Tut zwar ein bisschen weh, hinterlässt aber keine Narben.«
»Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«
»Ich habe ihn gefragt, was passiert ist und ob es ihm gut geht. Letzteres hätte ich wohl besser nicht fragen sollen, denn er ist sehr emotional geworden und hat immer wieder nur betont, dass er nicht versteht, wie seine Frau ihm so was antun konnte. Am besten sprechen Sie selbst mit ihm.«
»Das wollten wir sowieso. Erst mal vielen Dank und einen schönen Abend noch.«
»Daraus wird leider nichts, ich habe bis morgen früh Bereitschaft. Aber ich hab ja ein Bett hier«, sagte er lächelnd. »Herr Lura liegt übrigens in Zimmer 23.«
Durant und Hellmer verabschiedeten sich, klopften an die Tür und traten ein. Lura hatte ein Einzelzimmer. Seine Mutter saß am Bett, sein Vater stand am Fenster und schaute hinaus in die anbrechende Dunkelheit.
»Ach, die Polizei ist auch schon da«, sagte die Mutter ironisch. »Meinem Sohn geht es sehr schlecht, vielleicht sollten Sie besser morgen wiederkommen.«
»So schlecht scheint es ihm aber nicht zu gehen, schließlich sind Sie schon seit zwei Stunden hier. Und Dr. Förster sagt …«
»Ich bin auch seine Mutter. Und Dr. Förster mag ein guter Arzt sein, mehr aber auch nicht. Die seelischen Wunden, die meinem Sohn zugefügt wurden, wird kein Arzt dieser Welt jemals heilen können. Sie sehen ja, was meine liebe Schwiegertochter angerichtet hat. Aber ich habe es ja immer schon gewusst.«
»Ist schon gut, Mutter«, sagte Rolf Lura und setzte sich auf, wobei er sein Gesicht vor Schmerzen verzog und hustete. »Die Kommissare tun auch nur ihre Arbeit. Ich lebe ja noch, und außerdemmöchte ich nicht, dass du so schlecht von Gabi sprichst. Sie war krank, sie muss krank gewesen sein. Wir machen doch alle Fehler. Und jetzt lasst uns bitte allein.«
»Wie du meinst. Aber überanstrenge dich nicht. Und sollte etwas sein, ruf einfach an. Horst, wir gehen. Kommst du bitte. Und du schläfst dich jetzt erst mal richtig aus, damit du wieder zu Kräften kommst. Die letzten Tage waren die reinste Tortur.«
»Ja, aber es ist vorbei. Kommt gut nach Hause, und danke für alles.«
»Tschüs, mein Junge, und erhol dich gut. Ich werde für dich beten.« Bevor sie mit ihrem Mann nach draußen ging, gab sie ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn und streichelte über seine Wange. Es war ein beinahe groteskes Bild. Julia Durant und Hellmer hatten Mühe, nicht zu lachen. Im Vorbeigehen sagte Luras Mutter leise und mit einem Zischen zu Durant: »Behandeln Sie ihn gut, er ist durch die Hölle gegangen. Ich will keine Klagen hören.«
»Auf Wiedersehen, Frau Lura«, entgegnete Durant kalt und wartete, bis die Tür geschlossen war, die aber gleich wieder
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