Das Verlies
getäuscht.«
»Nicht nur du. Ich werde nie begreifen, warum sie das getan hat. Ich habe sie geliebt, ich habe sie mehr geliebt als mein eigenes Leben, das musst du mir glauben, auch wenn du mich für ein Arschloch hältst. Aber ich kann dir das auch nicht verdenken, nach all dem Bockmist, den ich verzapft habe.«
»Schwamm drüber, das ist Vergangenheit. Wir sind eben unterschiedlich, aber wir sind auch Brüder.«
»Wie hast du’s erfahren? Durch die Polizei?«
»Na klar. Die waren gestern Nachmittag schon bei mir. Was glaubst du, wie schwer es für mich war, dem Jungen das beizubringen. Da kommt ein Haufen Arbeit auf dich zu. Ich denke, er wird einen Psychologen brauchen.«
»Das kriegen wir schon hin«, sagte Rolf Lura und hustete. »Scheiß Lunge! Wenn die nur ein bisschen tiefer getroffen hätte, würde ich jetzt im Leichenschauhaus liegen.«
»Tut’s weh?«
»Es geht. War nur ein Lungensteckschuss hier oben«, antwortete er und wies auf die Stelle, »und hier unten rechts. Halb so wild.« Und nach einer kurzen Pause: »He, Wolf, ich will dir was sagen. Ich war in den letzten Jahren oft nicht fair dir gegenüber. Aber wenn man wie ich dem Tod so direkt ins Auge blickt, dann fängt man an nachzudenken. Ich habe all die Jahre über immer nur an mich gedacht und daran, dass es mir gut geht. Und darüber habe ich vergessen, dass es auch noch andere Menschen außer mir und meiner Familie gibt. Ich will mich bei dir entschuldigen, ich hab eine Menge Mist gebaut. Ich möchte einfach, dass wir uns vertragen.«
»Ist schon okay. Werd du erst mal wieder gesund. Wie lange wirst du denn hier drin bleiben müssen?«
»Der Arzt war vor ein paar Minuten hier und hat gemeint, wenn ich will, kann ich schon heute Nachmittag wieder heim. Natürlich muss ich mich schonen, aber ich habe ihm gesagt, dass ich nicht vorhatte, an einem Marathonlauf teilzunehmen«, antwortete Rolf Lura lachend und musste gleich wieder husten. »Unsere Mutter wird wohl ein paar Tage bei mir wohnen und mich verwöhnen, obwohl ich lieber allein wäre.«
»Seit wann hast du was gegen Mutter?«, fragte Wolfram erstaunt.
»Ich habe nichts gegen sie, aber manchmal geht sie mir schonauf die Nerven. Vor allem hasse ich es, wenn sie andauernd Rolfi zu mir sagt. Als wäre ich ein kleines Kind. Und sie weiß alles besser und … Ach, lass uns nicht darüber reden, ich muss damit klarkommen. Du hast doch auch kein so gutes Verhältnis zu ihr, oder hat sich das geändert?«
»Trotzdem ist und bleibt sie unsere Mutter. Aber du hast Recht, lass uns nicht darüber reden. Wie konnte das alles überhaupt passieren? Hat Gabi jemals irgendwelche Andeutungen gemacht, ich meine, hat sie Selbstmordabsichten geäußert oder dir gedroht?«
»Nein, das ist es ja. Wenn ich auch nur das Geringste geahnt hätte, was glaubst du, wie vorsichtig ich gewesen wäre. Aber so … Wie ich schon dieser netten Kommissarin sagte, ich hätte das von Gabi nie gedacht. Alles, aber nicht so was. Du etwa?«
»Nee …«
»Komm, erzähl mir von dir. Was machst du gerade, ich meine beruflich? Hast du wieder einen Job?«
»Noch nicht, aber die Zeit wird kommen.«
»Wenn du irgendwas brauchst, sag’s einfach, ich helfe dir sofort. Mutter muss es ja nicht unbedingt erfahren.«
»Danke. Vielleicht komme ich sogar darauf zurück. Im Augenblick bezahlt Andrea das meiste, und ich häng nur rum.«
»Andrea?« Rolf Lura sah seinen Bruder fragend an.
»Stimmt ja, du kennst sie noch gar nicht. Ich lebe mit ihr seit ein paar Monaten zusammen. Sie arbeitet in einem Verlag und verdient ganz gut, aber ich fühl mich schon ganz schön mies, wenn ich …«
»Jetzt lass den Kopf nicht hängen, das wird schon. Komm einfach zu mir, wenn ich hier raus bin und … Na ja, du weißt schon. Verdammt, ich war echt ein Arschloch, das wird mir immer bewusster. Aber man muss wohl so was erlebt haben, um zur Besinnung zu kommen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass wir wieder wie Brüder miteinander umgehen. Und ich möchte nicht, dass es dir schlecht geht. Damals, als das mit Meike passiertist, hab ich mich wie ein Schwein verhalten. Aber ich danke Gott, dass er mir eine zweite Chance gegeben hat, meine Fehler zumindest ein bisschen wieder gutzumachen. Auf der andern Seite hasse ich ihn dafür, dass er Gabi nicht davon abgehalten hat …« Er drehte den Kopf zur Seite, ein paar Tränen liefen aus seinen Augen und fielen auf das Kopfkissen. »Warum hat er das zugelassen? Warum? Ich habe sie doch
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