Das Verlies
gedeckt, bedien dich einfach. Frank schläft noch. Nur ich musste wieder raus, Steffi ist noch nicht so weit, dass sie sich allein beschäftigen kann. Die hat schon um acht vor meinem Bett gestanden.«
Sie holte das Aspirin, Durant nahm gleich zwei und spülte sie mit einem Glas Wasser runter. Danach aß sie zwei Scheiben Toast mit Marmelade und trank eine Tasse Kaffee. Sie unterhielt sich dabei mit Nadine, während Stephanie ihr gegenüber auf dem Stuhl kniete, den Kopf auf die Hände gestützt, und sie beobachtete.
Um kurz vor halb elf stand sie auf und ging zu ihrem Wagen. Die Kopfschmerzen und die Übelkeit waren fast völlig verschwunden, ihre schlimmsten Befürchtungen, den ganzen Tag über mit Kopfschmerzen verbringen zu müssen, wurden glücklicherweise nicht wahr. Es regnete in Strömen, die Straßen waren fast menschenleer. Nach nur zwanzig Minuten hielt sie vor dem Haus in der Falkstraße.
Sie wurde von Wolfram Lura in die Küche gebeten, Andrea und Markus waren im Wohnzimmer, der Fernseher lief.
Sie setzten sich an den Tisch, im Aschenbecher glimmte eine Zigarette vor sich hin, die von Lura ausgedrückt wurde. Julia Durant zündete sich die erste an diesem Tag an.
»Dann schießen Sie mal los«, sagte Durant und inhalierte den Rauch.
»Erst einmal will ich mich für mein Benehmen am Freitag entschuldigen. Es war dumm von mir, wie ich mich verhalten habe. Aber weshalb ich heute noch mit Ihnen sprechen wollte – ich hatte am Freitag, nachdem Sie hier waren, Besuch von meinem Vater, der mir einiges aus seinem Leben erzählt hat, und glauben Sie mir, ich bin auch jetzt noch ganz schön schockiert.Gestern dann hat er mich noch einmal angerufen und mich gebeten, ihn in seiner Stammkneipe zu treffen …«
»Was hat Sie denn so schockiert?«
»Das ist rein privat und tut nichts zur Sache. Mir sind nur die Augen über einige Dinge geöffnet worden. Aber gestern, das könnte für Sie interessant sein …«
»Sagen Sie mir erst, warum Sie am Freitag so gemauert haben.«
»Ich wollte meinen Bruder selbst zur Strecke bringen, aber Andrea und mein Vater haben es mir ausgeredet. Andrea hat mir sogar gedroht, mich zu verlassen …«
»Was ich ihr nicht verdenken kann. Aber gut, was war gestern Abend?«
»Ich kann mich an vieles aus meiner Kindheit und Jugend nur schwer oder schemenhaft erinnern, mein Vater dagegen umso besser. Er hat mir gesagt, dass Rolf als Kind sehr häufig beim Arzt war, weil er sich verletzt hatte. Außerdem ist er einige Male einfach so verschwunden, um einen Tag später wieder aufzutauchen, als ob nichts gewesen wäre. Mein Vater behauptet, er hat damit seinen Willen durchgesetzt, wenn er nicht sofort bekam, was er wollte.«
»Was für Verletzungen waren das?«
»Alles Mögliche, Schnittwunden, Arm- und Beinbrüche, bis hin zu einer schweren Gehirnerschütterung, weil er nach bestandener Führerscheinprüfung nicht gleich sein Traumauto bekommen hat. Danach hat er’s bekommen.«
»Wie alt war Ihr Bruder da?«
»Einundzwanzig. Er durfte zwei Jahre lang den Führerschein nicht machen, weil er mit achtzehn bei einer Polizeikontrolle erwischt wurde – eine Woche vor der Prüfung.«
»Aha. Und Sie meinen, Ihr Bruder hat sich absichtlich verletzt, um bestimmte Sachen zu bekommen. Verstehe ich Sie da richtig?«
»So hat es mein Vater gesagt. Ich habe auch den Namen desArztes, der über Jahre hinweg unser Hausarzt war. Allerdings weiß ich nicht, ob er noch lebt, und wenn, wo er lebt. Das müssten Sie herausfinden.«
»Wieso, glauben Sie, hat das etwas mit dem Fall zu tun?«, fragte Durant, die die Antwort selbst zu wissen schien, sie aber von Lura bestätigt haben wollte.
»Die Schussverletzungen. Mein Bruder hat sich nicht geändert, und ich würde ihm zutrauen, dass er die Schüsse selbst auf sich abgefeuert hat und sich dabei sicher war, dass er nicht daran sterben würde. Er ist ein Sadist und ein Masochist, eine andere Erklärung habe ich nicht.«
»Wie ist der Name des Arztes?«
»Dr. Hahn. Der Mann müsste inzwischen an die achtzig oder sogar drüber sein, sagt mein Vater. Ich habe auf meinem Computer das Telefonbuch Deutschland durchsucht, aber es gibt so viele Hahns, allein in Oberursel und Umgebung einige …«
»Den Vornamen haben Sie nicht zufällig?«
»Nein.«
»Aber er hat in den sechziger Jahren praktiziert?«
»Auch noch in den Siebzigern. Das war eigentlich schon alles. Finden Sie diesen Dr. Hahn. Wenn er lebt und geistig noch fit ist, wird er sich an meinen
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