Das Verlies
fahren, das macht mir nichts aus. Ich dachte nur, dich würde auch interessieren, was der über den kleinen Rolfi zu berichten hat.«
»Natürlich interessiert es Frank, nicht wahr, Schatz?«, mischte sich Nadine mit dem ihr eigenen unwiderstehlichen Lächeln ein und tätschelte seine Hand. »Ihr bleibt ja sicherlich nicht bis spät in die Nacht weg.«
»Bei Julia kann man nie wissen«, maulte Hellmer.
»Das dauert maximal zwei Stunden. Wir hauen um halb drei ab und sind so gegen halb fünf wieder da. Ich könnte mir vorstellen, dass es sehr interessant wird.«
»Ja, ja. Aber um spätestens halb sechs will ich wieder hier sein, Fußball gucken. Und wehe, du machst mir einen Strich durch die Rechnung.«
»Großes Indianerehrenwort.«
»Ihr beide seid ein klasse Team, so richtig tolle Bullen«, sagte Nadine grinsend, schnitt ein Stück von ihrer Roulade ab und steckte es in den Mund.
»Schmeckt hervorragend«, lobte Julia Durant. »Ich wünschte, ich könnte so gut kochen. Bei mir gibt’s immer nur Dosenfutter.«
»Danke. Aber bei einem derart anspruchsvollen Mann wie Frank musst du gut kochen können. Ich will doch nicht, dass er sich eine andere sucht.«
»Hahaha. Ich könnte doch auf dieses Luxusleben gar nicht mehr verzichten«, sagte er. »Sei ehrlich, Julia, wo findet ein Mann schon so eine Frau – schön und reich dazu?«
»Jetzt ist gut, wir haben ausgemacht, dass wir über dieses Thema nie mehr sprechen. Und dabei bleibt es auch«, erwiderte Nadine ernst.
»Sorry«, entschuldigte sich Hellmer und wechselte gleich das Thema. »Und was gibt’s zum Nachtisch?«
»Dosenpfirsiche, Vanilleeis und Sahne. Nichts Besonderes also.«
Nach dem Essen brachte Hellmer Stephanie ins Bett, Nadine und Durant räumten das Geschirr weg und legten sich anschließend noch für eine Stunde hin. Julia Durant schlief sofort ein, nicht ohne sich vorher den Wecker auf fünf vor halb drei gestellt zu haben. Um Punkt halb drei verließen sie und Hellmer das Haus. Es goss noch immer wie aus Kübeln.
Sonntag, 15.00 Uhr
Bei Dr. Hahn. Er wohnte in einem schmucken Haus, das von einem großen Garten umschlossen war, der allerdings einen etwas verwahrlosten Eindruck machte. Sie mussten eine Weile warten, bis er öffnete. Julia Durant wies sich aus und stellte Hellmer vor.
Dr. Hahn war ein großer, hagerer Mann, der leicht vornübergebeugt ging. Seine Augen waren eisgrau, aber wach. Durant schätzte ihn auf Anfang achtzig. Er trug einen braunen Anzug, ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte, an den Füßen hatte er jedoch nur Hausschuhe.
»Treten Sie bitte ein. Geradeaus ist das Wohnzimmer. SuchenSie sich einen Platz aus, nur nicht den Ledersessel, den brauche ich wegen meines Rückens.«
Er ging langsam und schlurfend und stützte sich beim Hinsetzen mit beiden Händen ab und ließ sich ganz langsam nieder. Auf dem Marmortisch lag ein aufgeschlagenes Buch, der Fernseher lief, doch der Ton war abgeschaltet. Es roch etwas muffig.
»Mit Ihnen habe ich vorhin telefoniert?«, sagte Dr. Hahn und schaute Durant an.
»Ja, Sie haben mit mir telefoniert. Leben Sie allein in diesem großen Haus?«
»Noch, ja, aber nicht mehr lange. Ich habe beschlossen, in ein Seniorenheim zu gehen und das Haus zu verkaufen. Seit meine Frau vor zwei Jahren gestorben ist, hat es keinen Sinn mehr, allein hier zu wohnen. Der Garten ist völlig verwildert, und auch hier drin schaffe ich nur noch das Nötigste. Mein Sohn kommt zwar ab und zu vorbei, aber er wohnt in Hamburg und hat sehr viel zu tun. Er ist auch Arzt … Aber Sie sind nicht gekommen, um mit mir über mich zu reden. Wie kann ich Ihnen behilflich sein? Sie haben vorhin von einem Mörder gesprochen, der einst mein Patient gewesen sein soll. Das klingt sehr aufregend. Ich bin gespannt, ob und wie ich Ihnen helfen kann.«
»Kennen Sie die Familie Lura?«
»Ja, natürlich kenne ich die. Sie waren meine Patienten, seit ich die Praxis hier in Oberursel eröffnet hatte, und das war 1955. Bis vor sechs Jahren habe ich noch regelmäßig gearbeitet, da war ich achtzig. Aber irgendwann hat mein Körper gesagt, lieber Freund, jetzt reicht es. Und Sie sehen ja selbst, jetzt brauche ich gute ärztliche Betreuung. Was ist mit der Familie Lura?«
Durant sah Dr. Hahn verwundert an und sagte: »Sie sind schon sechsundachtzig? Das hätte ich nicht gedacht.«
»Danke für die Blumen, aber ich merke schon, wie die Kräfteschwinden. Zum Glück ist mein Verstand noch hellwach. Aber kommen wir auf die Familie
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