Das Verlies
zog die Mundwinkel nach unten, »das war meine Frau. Wir waren sieben Jahre verheiratet. Und jetzt ist sie weg.«
»Sie haben sich scheiden lassen?«
»So kann man’s auch nennen«, erwiderte er bitter. »Nein, keine Scheidung. Sie hatte Krebs, der leider zu spät erkannt wurde. Und das Schlimme ist, als man ihn erkannte, war sie gerade im zweiten Monat schwanger, nachdem wir es schon fast aufgegeben hatten, noch Kinder zu bekommen. Sie starb nur drei Monate nach der Diagnose, es ging rasend schnell. Das ist jetzt zwei Jahre her. Aber glauben Sie bloß nicht, dass meine Mutter oder Rolf das auch nur im Geringsten interessiert hätte. Rolf erschien nicht mal zur Beerdigung, Gabriele schon, und meine Mutter verzog die ganze Zeit über keine Miene. Ich hab mich dran gewöhnt, man gewöhnt sich schließlich irgendwann an alles. Na ja, um nicht unterzugehen, habe ich mich in die Arbeit gestürzt und geschrieben und geschrieben und geschrieben, aber als ich mich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt habe, indem ich eine so genannte unantastbare Person öffentlich bloßgestellt habe, hat diese Person im Gegenzug dafür gesorgt, dass ich meinen Job loswurde. Dabei hat der Kerl so viel Dreck am Stecken, doch solche Leute führen bekanntlich ein richtig tolles Leben. Und wird einem erst einmal das Stigma des Unangepassten auf die Stirn gebrannt, ist Feierabend. Aber mittlerweile ist einige Zeit verstrichen, und ich hoffe, bald wieder arbeiten können. Momentan schreibe ich an einem Buch, um mir die Zeit zu vertreiben.«
»Darf ich fragen, über wen Sie geschrieben haben?«, erkundigte sich Durant interessiert.
»Ich möchte nicht mehr darüber reden. Ich muss neu anfangen, und dazu gehört, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Aber mein Leben ist unwichtig. Was möchten Sie denn noch über meinen werten Bruder wissen?«
»Beschreiben Sie ihn doch einfach mal aus Ihrer Sicht«, forderte ihn Durant auf.
»Meine Sicht ist sehr, sehr subjektiv. Aber gut, ich versuch’s mal. Rolf ist ein kleinkarierter Pedant, ein außergewöhnlich erfolgreicher Geschäftsmann, und er hängt wie eine Klette an unserer Mutter, was sie aber nicht nur gut findet, sondern sogar noch unterstützt. Für sie ist er immer noch der liebe kleine Rolfi, der vor den Gefahren der Welt beschützt werden muss. Dabei sollte eigentlich die Welt vor ihm beschützt werden. Er wird von ihr Rolfi genannt, ich bin nur der Wolf. Grrrrrr!«
»Und was können Sie uns über seine Ehe sagen?«
Wolfram Lura zögerte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zündete sich eine Zigarette an. »Was hat Ihnen denn Gabriele erzählt?«
»Eine ganze Menge. Sie können ruhig offen Ihre Meinung dazu sagen, wir behalten es auch für uns.«
»Okay. Ich habe Gabriele öfter gesehen als meinen Bruder. Einige Male war sie völlig am Boden und hat mich angerufen, weil sie niemand andern hatte, bei dem sie sich ausheulen konnte. Einmal, das war vor anderthalb, zwei Jahren, da hat er ihr zwei Zähne ausgeschlagen. Und ich weiß, dass da noch viel mehr vorgefallen ist, auch wenn Gabi nicht viel darüber gesprochen hat. Haben Sie sich mal ihre Hände angeschaut? Das sollten Sie mal tun. Sie hatte vor Jahren einen komplizierten Bruch, und jetzt dürfen Sie dreimal raten, wie dieser Bruch entstanden ist …«
»Ihr Bruder?«, fragte Durant zweifelnd.
»Sie ist seitdem gehandikapt, was das Klavierspielen angeht. Deshalb spielt sie auch nicht mehr gerne vor andern Leuten … Rolf ist in seinem tiefsten Innern ein Sadist. Er ist meiner Meinung nach krank und gehört in eine Anstalt. Er hat einfach Spaß daran, andere zu quälen. Es gibt wirklich nur zwei Personen, vor denen er Halt macht, und das sind unsere Eltern.«
»Hat er auch Sie gequält?«, fragte Durant.
»Schnee von gestern. Vergessen Sie’s, ist eine Ewigkeit her«, sagte er und winkte ab.
»Was ist denn noch vorgefallen?«
»Das können Sie sich doch denken, und wenn Gabriele Ihnen schon eine Menge erzählt hat, dann doch mit Sicherheit auch von den anderen Gewalttätigkeiten ihr gegenüber. Wir haben oft telefoniert, wobei ich sie meistens angerufen habe, weil Rolf jede Telefonrechnung kontrolliert, und wenn er meine Nummer sieht, dann sieht er im wahrsten Sinn des Wortes rot.«
»Sie würden also die Ehe als nicht sehr glücklich bezeichnen?«
»Nicht sehr glücklich?! Diese Ehe ist gelinde gesagt die reinste Katastrophe. Doch Gabriele kommt da nicht raus. Aber ziehen Sie jetzt bloß keine falschen
Weitere Kostenlose Bücher