Das Verlies
und ihre Kollegen das Büro verließen. »Und vor allem Erfolg«, rief er ihnen noch hinterher.
Durant kam noch einmal zurück. »Soll ich Ihnen was sagen, ich wünsche mir gar nicht, Erfolg zu haben. Ich wünsche mir, nichts zu finden. Ich mag die Frau, Sie hätten sie mal sehen müssen. Die ist die letzten dreizehn Jahre durch die Hölle gegangen. Manchmal wird man mit Schicksalen konfrontiert, da möchte man beide Augen ganz fest zudrücken, auch wenn jemand einen Mord begangen hat. Aber es gibt Situationen, da habe ich einfach Verständnis, wenn einer durchdreht. Ich weiß, das ist politisch nicht korrekt, doch so bin ich nun mal.«
»Aber in Ihrem Innern glauben Sie, dass sie etwas mit dem Verschwinden ihres Mannes zu tun hat, oder?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Natürlich könnte man ihr ein Motiv unterstellen, aber auch sein Bruder könnteseine Finger im Spiel haben oder irgendjemand, den wir bis jetzt noch überhaupt nicht auf der Liste haben. Dieser Lura ist jedenfalls ein Stinktier, davon bin ich inzwischen fest überzeugt, und wer weiß, wie viele Feinde er sich im Laufe seines Lebens geschaffen hat. Ich hoffe, wir kommen nachher mit leeren Händen zurück.«
»Viel Glück«, sagte Berger aufmunternd. »Und ich stehe hinter Ihnen, das wissen Sie.«
»Natürlich.«
Julia Durant ging zu den anderen, die sich auf dem Präsidiumshof versammelt hatten, und gab das Kommando zum Aufbruch. Um genau drei Minuten nach sieben hielten vier Autos vor dem Haus der Familie Lura.
Mittwoch, 19.03 Uhr
Das Innere war hell erleuchtet, als Hellmer seinen Finger auf den Klingelknopf legte. Gabriele Luras Stimme kam aus dem Lautsprecher, Hellmer nannte seinen Namen. Das Tor ging auf, die neun Männer und drei Frauen betraten das Grundstück.
Sie stand in der Tür und sah die vielen fremden Menschen verwundert an.
»Frau Lura«, sagte Durant und hielt den Beschluss hoch, »wir werden jetzt eine Hausdurchsuchung durchführen …«
»Moment mal, was soll das? Was glauben Sie hier zu finden?«
»Wir gehen mittlerweile von einem Gewaltverbrechen aus und …«
»Sie verdächtigen mich also doch! Ich hätte es wissen müssen. Mein Gott, Sie halten mich tatsächlich für eine Mörderin.«
»Nein, das tue ich nicht. Wir suchen nach Hinweisen auf einen möglichen Täter, das ist alles«, erwiderte Durant und wagte eskaum, der kleinen, zierlichen Frau in die Augen zu schauen, weil sie sich auf unerklärliche Weise schäbig vorkam.
»Tun Sie doch, was Sie für richtig halten.« Gabriele Lura machte die Tür frei. »Aber ich kann Ihnen gleich sagen, Ihre Mühe wird umsonst sein. Stellen Sie von mir aus alles auf den Kopf. Sagen Sie mir nur eins – wird es hinterher so aussehen, wie sie es im Fernsehen immer zeigen, ich meine, dass ich mein eigenes Haus nicht mehr wiedererkenne.«
Durant schüttelte den Kopf. »Wir sind nicht in Amerika. Es wird zwar etwas unordentlich sein, aber meine Leute sind instruiert worden, nicht zu viel Chaos anzurichten.«
Durant nahm Hellmer beiseite, flüsterte ihm etwas ins Ohr, fasste anschließend Gabriele Lura an der Schulter, ging mit ihr ins Wohnzimmer und schloss die Tür hinter sich.
»Frau Lura, ich möchte kurz mit Ihnen allein sprechen. Es geht um Dr. Becker. Wir haben heute Nachmittag Ihr Haus überwachen lassen, und dabei wurde er beobachtet, wie er um kurz nach halb vier zu Ihnen gekommen ist und um sechs, als meine Kollegen ihren Standort verlassen haben, noch immer bei Ihnen war. Was hat er so lange hier gemacht?«
»Das Haus beobachtet! Das wird ja immer schöner! Aber gut, wir haben uns unterhalten. Er ist der Anwalt meines Mannes, und ich habe ihn gebeten, mich zu beraten, falls …«
»Falls was? Falls Ihr Mann tot ist?«
Gabriele Lura nickte.
»Inwiefern sollte er Sie beraten?«
»Ich wollte wissen, ob Rolf ein Testament hinterlassen hat. Er hat. Aber Dr. Becker hat mir nicht gesagt, was drin steht«, log sie.
»Und das hat nun so lange gedauert?«, fragte Durant zweifelnd.
»Wir haben noch über alles Mögliche gesprochen. Wir haben durchgespielt, was passiert sein könnte, sind aber zu keinem Ergebnis gekommen. Er hat auch gemeint, es könnte sein, dass diePolizei das Haus auf den Kopf stellt. Dass es so schnell gehen würde, damit habe ich aber nicht gerechnet.«
»Eine Frage noch – haben Sie mehr als nur ein freundschaftliches Verhältnis zu Dr. Becker?«
Gabriele Lura wandte sich ab und stellte sich ans Fenster, sah aber nur ihr Spiegelbild
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