Das Verlies
mehr zurück, Liebling, selbst wenn ich wollte, die Würfel sind gefallen«, versuchte er so fest wie möglich zu sagen, doch sie spürte die Unruhe und Nervosität, die ihn gepackt hatten. Er schloss für Sekundenbruchteile die Augen, seine Hand um den Knauf gekrampft, sein Finger auf dem Abzug. Nein, dachte er, ich werde nicht der Schwächling sein, als den sie mich jetzt sehen wollen. Er drückte in dem Moment ab, als Becker seinen Kopf zur Seite drehte und Gabriele Lura anschaute. Sie schrie kurz und schrill auf. In Beckers Schläfe war ein kleines Loch, ein letztes Zucken raste durch seinen Körper, sein Kopf sank nach vorn, etwas Blut lief an der Seite herunter. Der Geruch von verbrannten Knochen und Fleisch erfüllte den Raum.
Lura ging vor seiner Frau in die Hocke und sagte mit sanfter Stimme: »Adieu, Liebling, es war schön mit dir. Manchmal zumindest. Du wirst mir fehlen.« Dabei streichelte er ihr noch einmal übers Gesicht.
»Ist das jetzt eine Genugtuung, deinen besten Freund umgebracht zu haben? Deine Hand zittert ja. Das war doch sonst nie so, wenn du zugeschlagen hast. Was ist los?«
»Ich habe dich geliebt.«
»Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist. Die einzige Liebe, die du vielleicht empfindest, ist die für deine Mutter. Aber sonst bist du dermaßen auf dich selbst fixiert … Nein, du hast keine Liebe in dir, nur grenzenlosen Hass auf alles und jeden, der nicht bedingungslos nach deiner Pfeife tanzt. Und jetzt mach schon, ich bin bereit.«
»Wieso hast du keine Angst?«, fragte er.
»Ich hatte noch nie Angst vor dem Tod, weil ich genau weiß, was danach kommt. Und mit dieser Gewissheit kann ich gehen. Du weißt aber nicht, was dich erwartet, wenn du eines Tages gehst. Lass dich überraschen. Und jetzt mach, ich habe keine Lust mehr, mich mit dir zu unterhalten«, sagte sie verklärt lächelnd.
Sie hielt den Kopf gerade und still und blickte ihrem Mann direkt in die Augen. Erst als die Kugel auch ihr Hirn zerfetzte, sank sie nach vorn.
Rolf Lura erhob sich und steckte die Pistole in den Hosenbund. Er löste die Handschellen und Fußfesseln, nahm erst Becker und zog ihn die sechzehn Stufen hinauf. Es war eine beinahe übermenschliche Kraftanstrengung. Er stöhnte ein paar Mal laut und schleifte ihn durch das Haus direkt in die Garage zum Jaguar und hievte den leblosen Körper in den Kofferraum, wobei er aufpasste, dass das Einschussloch nicht mit dem grauen Filz in Berührung kam. Anschließend holte Lura seine Frau, die wie ein Federgewicht war, und legte sie neben Becker.
Nachdem er noch mal nachgeschaut hatte, ob auch alle Geräte aus waren, löschte er das Licht im Bunker, schloss die Klappe und zog den Teppich, auf dem das Sofa stand, darüber. Nie würde jemand erfahren, was sich unter diesem Teppich und diesem Sofa befand. Ein letzter Blick in den Spiegel, er sah wieder aus wie der Rolf Lura, den jeder kannte. Dann nahm er den mit zehn Litern Benzin gefüllten Kanister, legte ihn auf den Rücksitz, vergewisserte sich, dass ihn auch niemand beobachtete,setzte sich ins Auto und fuhr auf die Bundesstraße. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, er war nervös. Das Schlimmste, was ihm jetzt passieren konnte, war, in eine Polizeikontrolle zu geraten, denn er war sicher, dass der Jaguar längst zur Fahndung ausgeschrieben war. Doch kein Polizeiwagen begegnete ihm, überhaupt waren nur wenige Autos auf der Straße zwischen Oberursel und Kronberg unterwegs.
Lura brauchte knapp zwanzig Minuten, bis er erneut in ein Waldstück einbog, über einen ausgetrampelten Pfad fuhr und schließlich etwa zweihundert Meter von der Straße entfernt zwischen den hohen Bäumen anhielt, die mittlerweile ihr Laub zu einem Teil verloren hatten. Er machte den Motor aus, warf einen langen Blick in die Runde, nahm schließlich das Fernglas aus dem Handschuhfach und lotete die Gegend aus. Er war allein. Als Erstes setzte er seine Frau auf den Beifahrersitz, danach Becker hinters Steuer. Dann schraubte er den Verschluss vom Kanister ab, schüttete das Benzin über das Fahrzeug und in den Kofferraum, warf den leeren Kanister auf die Rückbank, nahm die Pistole, schluckte schwer, richtete die Mündung gegen sich selbst und drückte zweimal ab. Zwei Kugeln, bei denen er sich sicher war, dass sie nicht tödlich sein würden. Er verzog das Gesicht, doch der Schmerz war nicht so groß, wie er vermutet hatte, hob die beiden Patronenhülsen auf, legte die Pistole zwischen Fahrersitz und Tür und warf
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