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Das verlorene Gesicht

Das verlorene Gesicht

Titel: Das verlorene Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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würde Ihnen gern die ganze Schuld in die Schuhe schieben, aber jeder muss die Verantwortung für seine eigenen Entscheidungen tragen.« »Das war aber nicht mein Eindruck«, erwiderte er trocken. »Sie wollten mir die Kehle durchschneiden.« »Es gibt Augenblicke, in denen ich das immer noch am liebsten tun würde. Sie haben sich falsch verhalten. Aber ich auch und damit muss ich leben.« Sie schaute aus dem Fenster. »Ich will einfach nicht, dass noch jemandem etwas zustößt, bloß weil ich einen Fehler gemacht habe.« »Sie sind ja richtig nobel.« »Ich bin nicht nobel«, sagte sie müde. »Aber ich versuche, die Dinge klar zu sehen. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass es leicht ist, allen anderen die Schuld zuzuschieben, wenn es zu wehtut, seine eigene Schuld einzugestehen. Aber am Ende muss man der Wahrheit ins Gesicht sehen.« Er schwieg. »Bonnie.« »Wir waren bei einem Schulpicknick in einem Park in unserem Viertel. Sie wollte zum Eisstand gehen und sich ein Eis kaufen. Ich unterhielt mich gerade mit ihrer Lehrerin und habe sie allein gehen lassen. Überall waren Kinder und Eltern, und der Eisstand war ganz in der Nähe des Picknicktischs. Ich dachte, es wäre ungefährlich, aber das war es nicht.« »Um Gottes willen, wie kann das Ihre Schuld sein?«, fragte er unwirsch. »Ich hätte mit ihr gehen sollen. Fraser hat sie ermordet, weil ich nicht gut genug auf sie aufgepasst habe.« »Und mit diesem härenen Gewand laufen Sie die ganzen Jahre herum?« »Es ist schwer, sich nicht in Frage zu stellen, wenn man einen so großen Fehler gemacht hat.« Er dachte nach. »Warum haben Sie mir das erzählt?« Warum hatte sie es ihm erzählt? Gewöhnlich vermied sie es, über jenen Tag zu sprechen; die Erinnerung war immer noch eine schrecklich schmerzhafte Wunde. »Ich weiß es nicht. Ich habe Sie dazu gebracht, mir von Ihrer Frau zu erzählen. Ich … glaube, das hat Ihnen wehgetan. Wahrscheinlich habe ich gedacht, es wäre gerecht, das gutzumachen.« »Und Sie sind besessen davon, gerecht zu sein.« »Ich gebe mir Mühe. Manchmal funktioniert es nicht. Manchmal mache ich die Augen zu und verstecke mich im Dunkeln.« »Wie bei Quinn vorhin?« »Ich habe mich nicht versteckt–« Das war gelogen. Sie musste zugeben, dass sie nicht alles über Joes Leben hatte deutlich sehen wollen. Das Bild, das sie von ihm hatte, war ihr zu wichtig. »Vielleicht doch. Aber gewöhnlich tue ich das nicht. Nicht, wenn ich es vermeiden kann.« »Ich glaube Ihnen.« Sie schwieg einen Moment lang. »Was ist mit Millicent Babcock? Wird sie in Gefahr sein, wenn sie herausfinden, dass Joe eine Probe von ihr bekommen hat?« »Ihr etwas zuleide zu tun würde ihnen nicht viel nützen. Chadbourne hat noch eine Tante und drei Kusinen. Es wäre zu auffällig, wenn sie alle plötzlich sterben würden. Außerdem ist es Chadbournes DNA, die den endgültigen Beweis erbringt. Sie ist wahrscheinlich nicht in Gefahr.« Wahrscheinlich. Wahrscheinlich war ihre Mutter in Sicherheit. Wahrscheinlich würde Gary nichts zustoßen. Wahrscheinlich würde Millicent Babcock nicht umgebracht. »Wahrscheinlich« reichte nicht aus. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Hoffentlich reichte es aus. Nicht noch mehr Tote. Bitte, nicht noch mehr Tote.
    Washington 23.05 Uhr
    »Mr Fiske?« Lisa Chadbourne beugte sich näher an das Wagenfenster und lächelte. »Darf ich einsteigen? Ich fühle mich hier draußen ein bisschen exponiert.«
    Fiske sah sich in der Straße um und zuckte die Achseln. »Mir kommt die Gegend ziemlich einsam vor.«
    »Deswegen habe ich sie ausgewählt. Die Regierungsbüros in diesem Viertel schließen alle um fünf.« Sie stieg auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. »Aber Sie werden sicherlich verstehen, dass ich kein Risiko eingehen kann. Mein Gesicht ist einfach zu bekannt.«
    Das stimmte. Sie hatte die mit Samt eingefasste Kapuze ihres braunen Capes tief in die Stirn gezogen, aber als sie sie zurückschob, erkannte Fiske sie sofort. »Sie sind es wirklich. Ich war mir nicht sicher …«
    »Immerhin waren Sie sich sicher genug, um in ein
    Flugzeug zu steigen und mich in Washington zu treffen.« »Ich war neugierig und Sie sagten, Sie hätten ein verlockendes Angebot für mich. Ich bin immer daran interessiert, vorwärts zu kommen.« »Und Sie fühlten sich geschmeichelt, dass ich mich über Timwicks Kopf hinweg mit Ihnen in Verbindung gesetzt habe?« »Nein.« Dieses arrogante Miststück glaubte wohl, er würde vor Ehrfurcht

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