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Das verlorene Gesicht

Das verlorene Gesicht

Titel: Das verlorene Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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stürmen.
    Der Wind frischte auf und peitschte die Wellen, bis sich kleine weiße Schaumkronen bildeten. Bonnie hatte das Meer geliebt. Eve und Sandra waren ein paar Mal mit ihr nach Pensacola gefahren und sie war am Strand auf und ab gelaufen, hatte gelacht und unaufhörlich geplappert und nach Muscheln gesucht. Eve warf die Wagentür heftig zu und ging auf den Pier hinaus. »Eve.« Sie reagierte nicht auf Logans Ruf. Sie wollte nicht in das Haus gehen. In diesem Augenblick wollte sie nichts und niemanden sehen. Sie brauchte Zeit für sich. Sie zog ihre Sandalen aus, setzte sich auf den Rand des niedrigen Piers und ließ die Füße baumeln. Das Wasser fühlte sich kühl und seidig an. Sie lehnte ihren Kopf gegen den Pfosten und lauschte dem Rauschen des Meeres. Und dachte an Bonnie …
    »Willst du sie nicht holen?«, fragte Gil. »Sie ist schon seit fast einer Stunde da draußen, John.«
    »Gleich.« Sie wirkte so einsam. »Ich glaube nicht, dass sie Gesellschaft wünscht.« »Sie soll nicht zu viel nachdenken. Nachdenken ist gefährlich. Sie ist jetzt schon sauer.« »Verdammt, ich hab es satt, sie zu drängen. Gönnen wir ihr ein bisschen Frieden.« »Ich wage zu bezweifeln, dass sie sich in eine Richtung drängen lässt, in die sie nicht gehen will.« »Aber man kann ihr jeden anderen Weg versperren, so dass sie gezwungen ist, dem einzigen zu folgen, der übrig bleibt.« Logan hatte diese Strategie von Anfang an bei ihr verfolgt. Und er verfolgte sie auch jetzt. Sollte er aufgeben, bloß weil er ein paar kleine Gewissensbisse hatte? Wohl kaum. Also musste er ihr Vertrauen wiedergewinnen und sie erneut benutzen. »Ich werde zu ihr gehen.« Er stieg die Verandastufen hinunter und schritt über den Sand auf den Pier zu. Sie wandte sich nicht um, als er sich ihr näherte. »Gehen Sie, Logan.« »Es wird Zeit, dass Sie reinkommen. Es wird allmählich kühl.« »Ich komme, wenn ich so weit bin.« Er zögerte, dann setzte er sich neben sie. »Ich warte auf Sie.« Er zog seine Schuhe und Socken aus und ließ die Füße ins Wasser baumeln. »Ich will Sie hier nicht haben.« »Wissen Sie, so was habe ich nicht mehr gemacht, seit ich in Japan war.« Er ließ den Blick über das Meer schweifen. »Der Tag ist einfach nicht lang genug, um sich auszuruhen und zu entspannen.« »Versuchen Sie etwa, sich bei mir einzuschmeicheln, Logan?« »Vielleicht.« »Nun, es funktioniert nicht.« »Nicht? Schade. Dann sollte ich wohl lieber einfach hier sitzen und mich entspannen.« Schweigen. »Woran denken Sie?«, fragte er. »Nicht an Chadbourne.« »Ihre Tochter?« Sie zuckte zusammen. »Versuchen Sie nicht, über Bonnie an mich ranzukommen, Logan. Es wird Ihnen nicht gelingen.« »Ich bin nur neugierig. Wahrscheinlich begreife ich nicht, warum Sie so wild darauf sind, Schädel zu identifizieren. Oh, ich weiß, dass Ihre Tochter nie gefunden wurde, aber Sie können doch nicht erwarten –« »Ich möchte nicht darüber reden.« »Ich habe Sie bei der Arbeit an Mandy und an Chadbourne beobachtet. Dabei ist fast eine Art … Zärtlichkeit zu spüren.« »Dann bin ich halt ein bisschen verrückt. Jeder hat den einen oder anderen Tick«, sagte sie gereizt. »Ich versichere Ihnen, ich nehme nicht an, dass ihre Seelen in diesen Knochen stecken.« »Glauben Sie an eine unsterbliche Seele?« »Manchmal.« »Nur manchmal?« »Okay, meistens.« Er schwieg. »Als Bonnie geboren wurde, war sie nicht wie ich oder meine Mutter. Sie war einfach … sie selbst. Vollständig … und wunderbar. Wie kann so etwas sein, wenn man nicht mit einer Seele geboren wird?« »Und diese Seele ist unsterblich?« »Woher soll ich das wissen? Ich … glaube schon. Ich hoffe es.« »Warum bemühen Sie sich dann so leidenschaftlich darum, diese Knochen zu ihren Familien zurückzubringen? Es dürfte doch keine Rolle spielen.« »Für mich spielt es eine Rolle.« »Warum?« »Das Leben ist wichtig. Das Leben sollte mit Respekt behandelt, nicht wie Abfall weggeworfen werden. Jeder sollte ein … Zuhause haben. Ich hatte als Kind nie ein richtiges Zuhause. Wir sind von einer Wohnung in die nächste gezogen. Von Motel zu Motel. Meine Mutter war … Es war nicht ihre Schuld. Aber jeder sollte einen Platz haben, einen Platz, wo er hingehört. Ich habe versucht, Bonnie ein Zuhause zu geben, das beste Zuhause, das ich ihr bieten konnte, wo ich sie lieben und umsorgen konnte. Nachdem Fraser sie ermordet hatte, wurde ich von Alpträumen geplagt, in denen sie irgendwo im Wald lag,

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