Das verlorene Gesicht
wo die Tiere sie –« Sie schwieg einen Moment, und als sie weitersprach, zitterte ihre Stimme. »Ich wollte sie zu Hause haben, wo ich mich um sie kümmern konnte, wie ich es immer getan hatte. Er hatte ihr das Leben genommen und ich wollte nicht, dass er uns diesen letzten Rest von Fürsorge auch noch nahm.« »Verstehe.« Gott, er erfuhr mehr, als er wissen wollte. »Haben Sie immer noch Alpträume?« Sie schwieg wieder, dann sagte sie: »Nein, keine Alpträume.« Sie schwang ihre Beine aus dem Wasser und auf den Pier. »Ich gehe jetzt hinein.« Sie nahm ihre Sandalen und stand auf. »Falls Ihre Neugier befriedigt ist, Logan.« »Nicht ganz. Aber Sie werden mir offenbar nicht mehr anvertrauen.« »Das sehen Sie ganz richtig.« Sie blickte auf ihn hinab. »Und bilden Sie sich nicht ein, Sie hätten mich mit diesem vertraulichen kleinen Plausch eingewickelt. Ich habe Ihnen nichts erzählt, was ich nicht jedem anderen auch erzählen würde. Joe und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass es das Beste für mich ist, über Bonnie zu sprechen.« »Wir müssen uns über Chadbourne unterhalten.« »Nein, müssen wir nicht. Nicht heute Abend.« Sie machte sich auf den Weg zum Haus. Knallharte Frau. Außergewöhnliche Frau. Er sah, wie sie die Verandastufen hinaufstieg. Das Licht, das aus dem Fenster fiel, schimmerte auf ihrem rotbraunen Haar und umspielte ihren schlanken, kräftigen Körper. Kräftig, aber verletzlich. Dieser Körper konnte verletzt und gebrochen und vernichtet werden. Und es konnte gut sein, dass er die Schuld trug, falls das passierte. Vielleicht war sein Versuch, ihr näher zu kommen, keine so gute Idee gewesen. Sie war so stark und unabhängig wie immer und er war derjenige, der sich verunsichert fühlte. Und, ja, vielleicht auch ein bisschen verletzlich.
»Ich habe nachgedacht, Lisa«, raunte Kevin ihr leise ins Ohr. »Vielleicht sollten wir … Was hältst du von – einem Baby?«
Großer Gott. »Ein Kind?« Er stützte sich auf einem Ellbogen auf und schaute sie an. »Ein Kind würde gut ankommen. Alle lieben Kinder. Wenn wir es jetzt machen, wird es gleich nach Beginn meiner zweiten Amtszeit zur Welt kommen.« Er zögerte. »Und … ich würde mich freuen.« Sie streichelte seine Wange. »Glaubst du nicht, ich würde mich auch freuen?«, sagte sie leise. »Nichts würde mich glücklicher machen. Ich habe mir immer ein Kind gewünscht. Aber es ist unmöglich.« »Warum denn? Du hast gesagt, Chadbourne konnte keine Kinder bekommen, aber jetzt ist alles anders.« »Kevin, ich bin fünfundvierzig Jahre alt.« »Aber es gibt doch heutzutage diese Schwangerschaft fördernden Mittel.« Einen Augenblick lang war sie tatsächlich in Versuchung. Sie hatte die Wahrheit gesagt; sie hatte sich immer ein Kind gewünscht. Ben und sie hatten es so lange versucht. Sie erinnerte sich daran, wie er scherzhaft gesagt hatte, welchen Popularitätswert ein Kind für einen Politiker hätte. Aber in diesem einen Punkt hatte der politische Vorteil sie nicht interessiert. Sie hatte sich jemanden für sich gewünscht, jemanden, der ganz zu ihr gehörte. Aber es war einfach unmöglich. Die Tränen, die ihre Augen füllten, kamen nicht nur Kevin zuliebe. »Lass uns nicht darüber reden. Es tut mir weh, zu wissen, dass es nicht geht.« »Warum geht es denn nicht?« »Es wäre zu kompliziert. Für eine Frau in meinem Alter bestehen einfach zu viele Risiken. Was wäre zum Beispiel, wenn die Ärzte mir für die letzten Monate der Schwangerschaft totale Bettruhe verordneten? Das kommt gar nicht so selten vor und dann könnte ich mich nicht an deinem Wahlkampf beteiligen. Das wäre sehr gefährlich für uns.« »Aber du bist so kräftig und gesund, Lisa.« Er musste schon lange über das Thema nachgedacht haben, so beharrlich, wie er war. »Wir können das Risiko nicht eingehen.« Sie drückte den Knopf, von dem sie wusste, dass er ihn zum Schweigen bringen würde. »Wir könnten natürlich auf unsere Pläne für eine zweite Amtszeit verzichten. Aber du bist so ein wunderbarer Präsident. Alle lieben und bewundern dich. Willst du das alles aufgeben?« Er schwieg. »Bist du sicher, dass es ein solches Risiko wäre?« Wie erwartet, verabschiedete er sich bereits von dem Traum. Auf keinen Fall wollte er wieder in der Anonymität versinken, nachdem er sich einmal an die Macht und den Ruhm gewöhnt hatte. »Es ist einfach der falsche Zeitpunkt. Ich sage ja nicht, dass wir es uns später nicht noch einmal überlegen können.« Sie fuhr
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