Das verlorene Ich
Einheimische nur schwer ein Entkommen gab. Fremde, die sich mit dem Auto hineinwagten oder verirrten, waren fast verloren.
Und die Rothaarige hielt geradewegs darauf zu.
Nicht, um sich einzuordnen. Sondern um quer hindurchzubrechen!
In den Lärm um sie her mengte sich erstes Sirenengeheul.
Landers sah nach hinten. Ihre Verfolger hingen noch immer am Heck des Renault. Schon etwas lädiert zwar, aber eisern, regelrecht verbissen.
»Wahnsinn!« keuchte Landers, als die Rothaarige den Wagen mit unverminderter Geschwindigkeit in den Kreisverkehr schießen ließ.
Augenblicklich steigerte sich das lärmende Chaos um sie her in Höhen, daß es in den Ohren nicht mehr nur dröhnte, sondern wehtat. Einzig die Wucht, mit der das Fahrzeug andere rammte, verhinderte das abrupte Ende der Fahrt. Getroffene Wagen wurden regelrecht aus dem Weg gewirbelt, prallten gegen weitere. Blech kreischte, und über dem Place Charles de Gaulle gingen Regenströme aus splitterndem Glas nieder.
Hart hielt die Rothaarige das Lenkrad umklammert, Landers sah das Spiel ihrer Armmuskeln. Die Anstrengung, den Wagen auf Kurs zu halten, mußte immens sein. Doch sie wichen nicht von der schnurgeraden Linie ab, während um sie her und hinter ihnen der Verkehr zum Erliegen kam.
Die letzten Meter schafften sie fast ungehindert, weil die anderen Fahrer sich auf den Wahnsinn dieser Selbstmörderin einstellten.
Und dann waren sie draußen -
- und ihre Verfolger los!
Der Renault tauchte in eine schmale Straße ein, dann in die nächste und schließlich in ein Gewirr enger Einbahnstraßen. In einer Hofeinfahrt hielt die Rothaarige schließlich an, trieb Landers mit der Waffe aus dem Wagen und durch Hinterhöfe und Hausdurchgänge vor sich her. Mindestens zwei Blocks weiter knackte sie das Schloß eines abgestellten Peugeot, schloß die Zündung mit blinder Fingerfertigkeit kurz und fuhr los, dem anderen Ende der Stadt zu.
»Darf ich fragen, wie dein Name ist?« erkundigte Landers sich nach einer Weile.
»Natalja«, antwortete sie. »Aber man kennt mich eher als >Engel des Todes<.«
Landers grinste verunglückt und seufzte. »Warum bin ich da nicht von selbst draufgekommen?«
*
Sydney
»Da wären wir.« Es war die erste Wortmeldung des Taxichauffeurs überhaupt, seit Lilith ihn zurechtgestutzt hatte.
»Das - kann nicht stimmen. Ich sagte dreihundert-«
»-dreiunddreißig«, vollendete der Fahrer hörbar gereizt. Nachdem er das vorherige Lamento seiner Kundin noch akzeptiert hatte, schien er nun nicht länger gewillt zu sein, mit seiner Laune hinter dem Berg zu halten. »Auf meinem Mist ist die Adresse, die Sie mir gaben, nicht gewachsen. Ich wüßte hübschere Schandflecke in dieser Stadt .«
Vielleicht war es nicht direkt ein Schandfleck, aber auf jeden Fall auch nicht das, was Lilith vorzufinden erwartet hatte.
Das Haus von den Bildern ... existierte hier nicht! Alles, was sie sehen konnte, war ein völlig verwildertes Grundstück, auf dem ein paar hartnäckige Sträucher der dörrenden Hitze trotzten. Aber es gab nicht einmal Anzeichen dafür, daß hier überhaupt jemals ein Haus gestanden hatte.
Das Ticken des Taxameters verstummte, als der Fahrer einen Hebel niederdrückte. »Zweiundzwanzig Dollar fünfzig«, sagte er und streckte Lilith die offene Hand entgegen. »Brauchen Sie eine Quittung?«
Ich brauche einen Strick, dachte sie fatalistisch und rundete die Summe auf 25 Aussie-Dollar auf. »Stimmt so, danke ...«
Ihre Verwirrung schien den Taxifahrer dazu zu bewegen, doch über den barschen Anpfiff von vorhin hinwegzusehen. Er verstaute das Geld in einem kleinen Lederbeutel, den er zurück auf die Konsole legte. Dann fragte er: »Was wirft Sie so aus der Bahn? Wohin wollten Sie denn?«
»Ich - hatte nur die Adresse.«
»Nur die Adresse?« Er zog beide Augenbrauen gleichzeitig nach oben. »Sie landen - von wo auch immer - hier in Sydney und lassen sich zu einer Adresse fahren, von der sie nicht wissen, was Sie dort vorfinden ...?«
Sie schluckte. »Hier müßte ... ein Haus stehen.«
Seine Augen waren hinter der Brille nicht zu sehen. Dennoch wußte Lilith, daß sie gerade etwas schmäler geworden waren und ihr nun verkniffener entgegenblickten.
»Hier stand einmal ein Haus«, sagte er. »Ein ziemlich altes, aber .«
»Das hier?« Sie griff in die zu ihrem »Kleid« gehörige Tasche, in der sie auch das von Hector Landers erhaltene Geld aufbewahrte, und zog das Bild heraus, das die Reise mitgemacht hatte. Sie hatte es aus dem
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