Das verlorene Ich
gestanden hätten.
Denn vor ihm stand eine Frau. Langes kupferfarbenes Haar floß in Wellen fast bis zu ihren Hüften hin, und ihre Figur war schlicht atemberaubend. Wäre da nicht die eisige Kälte in ihren blauen Augen gewesen, und diese starre Ausdruckslosigkeit, die jeder Gefühlsregung überlegen sein mußte.
»Aufstehen und mitkommen«, fuhr sie ihn an. »Schnell!«
»Was -?«
»Quatsch nicht! Los!«
Der Druck der heißgeschossenen Mündung ihrer Maschinenpistole in seinem Nacken verstärkte sich. Gleichzeitig beugte sie sich zu Hector Landers hinunter, packte ihn und zerrte ihn mit unerwarteter Kraft auf die Beine. Dann trieb sie ihn vor sich her, die inzwi-schen verlassene Treppe hinab und in die Eingangshalle.
In einem verglasten Raum neben dem Portal telefonierte ein uniformierter älterer Mann aufgeregt. Als er der Rothaarigen und vor allem ihrer Waffe ansichtig wurde, fiel ihm der Hörer aus der Hand. Im nächsten Moment stürzte er zu Boden, als seine Pförtnersloge um ihn her in Scherben ging. Wieder füllte stakkatoartiges Hämmern das Gebäude.
»Weiter!« trieb die Rothaarige ihren Gefangenen an.
»Was soll das werden?« wagte Landers zu fragen.
Ein derber Stoß war Teil der Antwort. Doch die Rothaarige ließ sich auch zu einer gesprochenen hinreißen.
»Wenn dein Kopf jemandem zwei Millionen Francs wert ist, dann frage ich mich, was er zu zahlen bereit ist, wenn er dich am Stück geliefert bekommt!«
*
Der unauffällige Renault parkte unmittelbar vor dem Eingang. Die Rothaarige bugsierte Landers auf den Beifahrersitz, setzte sich selbst hinter das Steuer, die Waffe in den Spalt zwischen Fahrertür und Sitz klemmend.
»Keine Dummheiten«, warnte sie. »Zur Not begnüge ich mich nämlich auch mit zwei Millionen für deinen Kopf.« Sie lächelte knapp, und irgendwie schien Landers diese Regung ein bißchen weniger hart wie noch ihr vorheriges Verhalten.
»Keine Sorge«, gab er zurück. »Immerhin könnte ich mir keine hübschere Chauffeuse vorstellen.«
»Ich vergaß«, sagte die Rothaarige, während sie den Wagen die Straße hinabjagte: »Schnauze halten!«
Landers wollte trotzdem etwas erwidern, als er sich unvermittelt in den Sitz gepreßt fühlte. Fluchend gab die Rothaarige Gas.
»Merde!«
»Was ist?« fragte Landers.
»Wir haben Begleitung!«
Landers warf einen Blick nach hinten und entdeckte unschwer die beiden dunklen Fahrzeuge, die ihnen folgten - und in geradezu halsbrecherischem Tempo aufholten.
»Polizei?« fragte Landers leicht amüsiert. Irgendwie spürte er einfach keine Angst. Was ihn fast beunruhigte.
»Nein«, knirschte die rothaarige Schönheit, »wohl eher ein paar Kollegen, die sich zwei Millionen Francs verdienen wollen.«
»Wer hat das Kopfgeld denn ausgesetzt?« wollte Landers wissen, obgleich er die Antwort längst ahnte. »Vautier?« ergänzte er deshalb, als die Frau ihm nicht antwortete. Wohl nicht einmal, weil sie es nicht wollte, sondern weil ihre ganze Konzentration dem Steuern des Wagens und dem Verkehr ringsum galt, durch den sie schier hindurchbrachen. Das Konzert aus quietschenden Reifen und schrillem Hupen in allen Tonlagen war längst ohrenbetäubend. Landers wurde in seinem Sitz hin- und hergeworfen.
»Du weißt Bescheid«, stellte die Frau fest. Na, eher ein Mädchen noch, revidierte Landers. Er schätzte sie auf allenfalls dreißig Jahre. Eher ein ganzes Stück darunter.
»Wenn ich nur wüßte, weshalb er so hinter mir her ist«, sann Landers.
»Wenn er sich den Spaß zwei Millionen kosten läßt und ganz Paris auf dich ansetzt«, erwiderte die Rothaarige, »dann mußt du eine ganze Menge mehr getan haben, als ihm nur auf die Zehen zu treten.«
»Hältst du es für klug, ins Zentrum zu fahren?« wechselte Landers das Thema. Der Eiffelturm war mittlerweile deutlich nähergerückt, die Verkehrsdichte nahm immer mehr zu. Ihr Wagen pflügte förmlich hindurch.
»Natürlich«, war die Antwort. »Glaubst du, wir könnten die Kerle auf freier Straße eher abhängen?«
»Auch wieder wahr«, gestand Landers ein.
Zwischenzeitlich hatte die Rothaarige mehr als eine Karambolage verursacht, war selbst jedoch jedem Zusammenstoß wie durch ein Wunder entgangen. Wie lange dieses Glück noch anhielt, war absehbar.
Über die Seine ging die Verfolgungsjagd schließlich weiter über die Avenue Marceau. In der Ferne tauchte der Arc de Triomphe auf, dahinter der Place Charles de Gaulle mit seinem mahlstromartigen Kreisverkehr, aus dem es schon für
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