Das verlorene Kind
Es schlug zausend die Händchen in
seinen lockigen Bart und lachte, plötzlich aber legte es ernst und
still seinen kleinen Mund auf den des Mannes und küßte ihn. Dann lachte
es wieder.
Es lief ihm bei der Arbeit überall nach, in die Ställe, auf
die Wiesen, ja die Mutter mußte es sogar auf die Felder tragen, wenn er
dort arbeitete, so lange schrie und bettelte es. Martin ließ das Kind
auf seinem Nacken reiten, oder er setzte es auf eines der Pferde, hielt
es sorgsam fest und ließ es traben, er schnitzte ihm aus
Holunderzweigen eine kleine Flöte, faltete ihm Helme aus Papier, flocht
ihm aus Kornblumen und rotem Mohn einen Kranz, und als die Mutter ihn
scherzend auf ihr eigenes Haar setzte und das Kind eigensinnig schrie,
flocht er auch einen für die junge Frau. Immer in der Mittagspause oder
am Feierabend saßen das Kind und er hinter dem Hügel auf dem schmalen
Wiesenrain am Bach, innig ineinandergeschmiegt, und das Köpfchen des
Kindes war gespannt und unbeweglich über die Hände des Knechtes
gebeugt, die einen winzigen Gegenstand hielten und hin und her bewegten.
In solchen Augenblicken kam wohl Emma in trauriger,
zweifelnder Vorsicht an die Gruppe heran und wollte das Kind mit sich
nehmen. Doch das Kind weinte, schrie, wehrte sich mit aller Kraft,
indem es mit den kleinen kräftigen Gliedern so um sich schlug, daß Emma
es wieder zu Boden setzen mußte; darauf lief es sofort wieder zu
Martin, und, noch schluchzend, schmiegte es sich an seine Knie. Und
wenn in Zukunft Emma in ihrem furchtbaren, nie schweigenden Mißtrauen,
nur in weitem Bogen noch, spähend die beiden umschlich, begann das
Kind, sobald es die alte Frau erblickte, zu strampeln und zu schreien,
aus der Ferne mit dem Händchen nach ihr zu schlagen. Dagegen
besänftigte sich sein ungebärdiges Wesen sofort, wenn es bei Martin
war. In den Stunden, da die beiden allein an dem Bache saßen, zusammen
über die kleine rätselhafte Arbeit in den Händen des Mannes gebeugt,
war das Kind still wie nie, saß andächtig da, ohne sich zu rühren.
Sie sprachen miteinander, obwohl eines des andern Sprache
nicht verstand. Das Kind fragte, und der Mann nickte mit dem Kopfe oder
schüttelte ihn. Dann aber sprach er. Er sprach leise murmelnd, in
langanhaltenden Gesprächen, und das Kind lauschte, den Blick seiner
glänzenden, dunklen Augen auf seinen beim Sprechen wogenden Bart
gerichtet. Er erzählte von »dort«, von den Kameraden, von der Arbeit,
von dem Geistlichen, von dem Frühling auf dem Gefängnishof, und daß es
einmal sehr schlimm mit ihm gewesen sei, jetzt aber sei es viel besser
mit ihm geworden. Er tue nie mehr Schreckliches den Kindern, um die
kleine Anna habe er noch sehr geweint, er habe sich totschlagen wollen,
die Mutter habe es gewollt, alle hätten ihn gehetzt, so sei es einmal
gewesen mit ihm, bis er ganz krank geworden sei; aber nun sei mit ihm
alles gut. Aber die andern seien gemein, die Magd lecke mit den
Mistfingern die Sahne von der Milch, und im Frühling habe sie die
jungen Lämmer unter ihre Röcke geklemmt, bis sie beinahe erstickt
seien, und der Knecht treibe sich im Dorf herum mit jungen Mädchen. Das
alles sollte nicht sein, es sei besser, man bleibe wie als Kind. Karl
und Gustav erkannten ihn nicht mehr, aber er erkenne sie noch gut. Sie
seien groß und klug geworden und Amerikaner, aber hier sei es schöner
als in Amerika, hier sei es schöner als in Treuen; dort seien
schreckliche Dinge vorgegangen, man dürfe sie nicht denken, man dürfe
nicht von ihnen sprechen, er wolle ihr das nicht erzählen. Er sprach
von seinen Tieren, von den Staren, pfiff dem Kinde die Melodie vor, die
er sie gelehrt hatte, er ahmte das feine Singen der Maus nach, die in
dem Heuhaufen versteckt lebte, und erklärte, im Herbst wolle er sich
einen Igel fangen. Und während er sprach, mit sanfter Stimme seine
arme, von Geheimnissen bedrängte Brust freisprach, vollendeten seine
fleißigen Hände das kleine Kunstwerk, dessen Erlernung er den
Mußestunden des Gefängnisses verdankte, nämlich mit Hilfe einer
winzigen Säge aus geschärftem Draht aus drei Kirschkernen einen Wagen
mit zwei vorgespannten Pferden zu feilen. Aus zwei Kernen entstanden je
ein Pferd, aus dem dritten ein Wagen. Das war es auch, was die
Aufmerksamkeit des Kindes fesselte und es so stundenlang still und
unbeweglich festhielt.
Im August war trotz der Erntearbeiten das kleine Geschenk
fertig. Es war Sonntag und der
Weitere Kostenlose Bücher