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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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Anna. Das Kind sah mit seinem leuchtenden Blick Fritz nach, als
er über den Hof zum Teiche lief. Einen Augenblick lang ward ihr
Gesichtchen plötzlich von Ernst und Nachdenken überzogen. Sie wandte
sich zur Mutter und sagte mit seltsam leiser Stimme:
    »Ich muß zum Teich, ich muß noch die Enten füttern.« Denn dies
hatte sie zu ihrer Freude täglich tun dürfen, seit die jungen Enten des
Jahres ausgekrochen waren.
    »Nein,« sagte die Mutter, »heute gehe nicht zum Teich, bleibe
bei der Mutter.«
    »Aber sie haben Hunger,« fuhr das Kind mit Ernst fort, »ich
habe ihnen heute noch kein Brot gegeben.«
    »Aber die Entlein haben doch auch eine Mutter, und die hat sie
heute schon gefüttert. Bleibe nur da.«
    »Aber die Mutter von den Entlein kann doch kein Brot
abschneiden,« beharrte das Kind in unerschütterlichem Ernst, »ich muß
doch schnell zum Teich laufen und ihnen Brot bringen«, und da es sich
besann, daß die Mutter das Brot in der Speisekammer abschneiden mußte,
begann es plötzlich zärtlich zu werden, zu schmeicheln, mit Bitten sie
zu bestürmen, bis die Mutter aufstand und mit ihm in die Küche ging.
Hier versuchte sie noch einmal, das Kind von seinem Vorhaben
abzubringen, doch dieses begann nun mit seinem ganzen reizenden Übermut
sie zu bedrängen. Es schlang die Ärmchen fest um die Knie der Mutter,
so daß diese, gefangen in der Umschlingung, ohne Gewalt sich nicht mehr
bewegen konnte, es preßte sein rundes, schelmisches Gesichtchen durch
die Falten der Röcke fest an die Beine der Mutter, und unter ihrem
sprudelnden Kinderlachen rief es immer wieder, daß es die Enten füttern
wolle. Die Mutter versuchte sich loszumachen, doch sie vermochte nicht,
gewaltsam das Kind von sich zu lösen. Vorgebeugt, sah sie die blonden
Locken des kleinen Hauptes zwischen den dunklen Falten ihres Rockes
wehen, sie fühlte durch ihre Kleider hindurch voll Zärtlichkeit den
heißen Atem des kleinen lachenden Mundes an ihren Schenkeln leise zum
Leib aufsteigen. Erregt von der Freude des Kindes, angesteckt von
seinem Lachen, lachte sie mit, in langen strömenden Zügen, wie sie
bisher nur die Freuden der Nacht aus ihrer Brust hervorgelockt hatten,
und nun entquoll derselbe weiche Ton, tief und lockend bei der Mutter,
hell und zwitschernd bei dem Kind, in innigster Vermischung beiden
Kehlen. Nun losgelassen, mittreibend im Übermut des Kindes, preßte es
die Mutter noch fester an sich, packte es unter den zarten Schultern
und begann sich selbst tanzend im Kreise zu drehen, so daß das Kind, an
den Ärmchen gehalten, mit den Beinchen aber in der Luft schwebend, in
weitem Bogen mit ihr kreiste. Der ganze Raum der Küche war erfüllt von
dem jubelnden Gelächter der beiden. Doch mitten im drehenden Schwung
des Spieles sah die Frau plötzlich den Mann mit dem Viehhändler von den
Ställen kommen, dem Haus sich nähern. Sie hielt verwirrt und erschöpft
inne.
    Der Mann blickte durchs Fenster und sah das lichte Haupt des
Kindes an die Mutter geschmiegt und ihren dunklen Scheitel tief zu ihm
niedergebeugt. Er lächelte und schritt weiter. Aber während der ganzen
geschäftlichen Verhandlung, die er im Wohnzimmer mit dem Viehhändler
hatte, schwebte dieser Anblick vor seinen Augen, und er fühlte in
seinem Herzen eine tiefe Bewegung.
    In der Küche hielten Mutter und Kind, nur schwer innehaltend
in ihren kreisenden Bewegungen und schwer den erregten Atem ausatmend,
sich noch immer umschlungen. Doch das Kind vergaß nicht. In
unermüdlichem Lachen und in hartnäckigen Schmeicheleien wiederholte es
seine Bitte.
    Die Mutter aber, erschöpft von Spiel und Lachen, konnte nun
nicht mehr widerstehen. Sie ging in die Speisekammer, schnitt Brot ab
und zerteilte es in kleine Würfel, während das Kind mit seinem Körbchen
herbeieilte und sie mit seinen kleinen Händen hineinfüllte. Obenauf
legte die Mutter noch einige Scheiben von dem Kuchen, der vom gestrigen
Sonntag, dem Geburtstag des Kindes, übriggeblieben war, für dieses
selbst. Sie küßte das Kind, nun schon eilig, um zur Arbeit
zurückzukehren, und schob es zur Tür hinaus. Doch des Kindes
Liebkosungen, das Spielen, Lachen und Jagen hatten sie erregt, sie sang
leise vor sich hin, ihre Bewegungen bei der Arbeit waren anders als
zuvor, waren wie in den Tagen ihrer Jugend, als würden sie zu Tanz oder
Freude getan, ihr Mund war geöffnet zu einem Lächeln voll Glückes ohne
Ende.
    Vom Teich zurück kam Fritz. Über

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