Das verlorene Kind
Sommersprossen bedeckt, und wenn die Mädchen
lachten, zeigten sie herrlich weiße Zähne. Sie versuchten Fritz zu
necken, stachen kichernd mit den Enden der Weidenruten nach seinen
Ohren, doch wenn er sich umwandte, liefen sie angstvoll kreischend
davon. Merkten sie aber, daß er ihnen nicht folgte, blieben sie in der
Entfernung stehen, höhnten ihn, streckten ihm ihre Zungen entgegen und
schnitten ihm Grimassen. Er sah sie wohl an, sah ihre Röcke von den
nackten braunen Beinen auffliegen, sah ihre aufgerissenen Münder, die
ihn reizten, zuzuschlagen, aber er hielt sich, folgte ihnen nicht,
arbeitete ununterbrochen weiter. Doch nach und nach, in der Umhüllung
der in Sommerglut steigenden Sonne, befiel ihn eine mehr und mehr
wachsende, rauschartige Erregung. Er fühlte sein Blut, wie es leise,
fast kosend und schmeichelnd von seinem Herzen kam, wie es durch die
Glieder trieb, wie es von weichen Schlägen emporgehoben wurde zum Kopf
und in die Schläfen, bis in die feinen Adern der Augenlider hinein;
sein Körper ward ihm leicht, er fühlte sich nicht mehr auf den Füßen
stehen, er schien schwebend über der Erde gehalten. Er begann zu singen
mit seiner unendlich sanften, hohen und schönen Stimme, langgezogene
Töne eines Chorals. In seltsamer Verklärung trat die engelgleiche
Bildung seines Gesichtes hervor.
Dann hatte er sich plötzlich in dem kraftlosen Zittern seiner
Hände eine tiefe Wunde in den Ballen der linken Hand geschnitten. Er
fühlte keinen Schmerz, sah nur sein Blut fließen. Er hielt die Wunde
dicht vor seine Augen. In großen, vom Sonnenlicht leuchtend umflossenen
Perlen rollte das Blut nieder, die letzte Last und Schwere seines
Körpers entwich, der letzte Druck seiner Kräfte verging, das Hämmern
und Pochen der Pulse verstummte, wie ein leeres, reines Gefäß schwebte
er in Rausch und Traum in der Freude des sommerlichen Tages.
Doch es blieb nicht so. Der Tag wanderte weiter, die reine
Minute verging in ihm. Die beiden jungen Hirtinnen kamen herbei, und
als sie seine blutende Hand sahen, schöpften sie mitleidig Wasser mit
ihren hohlen Händen aus dem Teich, suchten auf der Wiese Kräuter, die,
mit dem großen Blatt einer Wasserrose auf die Wunde gebunden, das Blut
bald stillten. Fritz besann sich auf die Arbeit, es war Mittag
geworden, und er hatte noch Arbeit in den Ställen zu verrichten. Er
lief zum Hof zurück. Noch immer spürte er seine Füße nicht, im Flug
wurden seine Schritte vorwärtsgehoben. Mittags aß er viel und hastig,
doch fühlte er keine Sättigung von dem schweren Mahle. Nach dem Essen
wurde er sofort in den Wald geschickt, beladen mit einem großen Korb,
der das Essen für die Holzfäller, die draußen geblieben waren,
enthielt. Doch mußte er sich eilen, zurückzukommen, denn die Arbeit an
dem Dach der Scheune vier, bei der er helfen sollte, begann um drei
Uhr. Er setzte in langen, federnden, in den Knien immer noch zitternden
Schritten durch den Wald, der kühl und dämmrig zur Besinnung mahnte.
Auf dem Rückweg aber stolperte er plötzlich, fiel nieder und schlug
hart mit dem Kopf auf eine Baumwurzel auf. Er erhob sich langsam,
völlig verwirrt; in seiner leeren Brust stieg wie ein furchtbarer
Kitzel Lachen auf, schon öffnete sich sein Mund, doch er stieß noch
schnell den Kopf vor und begann von neuem in langen Sätzen heimwärts zu
rasen. Als er ankam, war es schon einhalb vier Uhr. Durst quälte ihn,
und er ging in die Küche, um zu trinken. Doch es war noch nicht
gemolken, und die Milch vom Morgen war verbraucht. Am Herd stand Emma,
seine Mutter, und überwachte das Kochen der Beeren, die am Vormittag
geerntet worden waren. Er sah ihr zu, wie sie mit einem großen
Hackmesser Stücke von einem riesigen Zuckerhut abhieb und sie in die
kochenden Beeren versenkte. Er sah, wie die weißen Gebirge des Zuckers
in dem roten, träge glucksenden, kochenden Blut des Beerensaftes
standen, dann langsam sich rot verfärbten und endlich untergingen; es
blieb die leise bewegte, glucksende Fläche von glühendem Rot. Die Hitze
des Herdes, die weich auf- und niederzuckenden Blasen des kochenden
Saftes reizten ihn von neuem. Das Lachen aus seiner Brust stieß
drängend zur Kehle. Er wandte sich um, lief mit ausgedörrtem, vor Durst
schmerzendem Munde am Brunnen im Hofe vorbei, weiter, zurück zum Teich,
zu den Weiden, er floh zur Arbeit und Ordnung.
Vor der Tür des Hauses saß die Frau. Neben ihr spielte die
kleine
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