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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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und im tiefsten Frieden und Glück schlief er ein.
    Doch noch einmal erwachte er, das Kind weinte im Schlafe laut
und schmerzlich auf, es war kein Kinderweinen, sondern das Schluchzen
einer verzweifelten Kreatur.
    Er erschrak, dachte an Krankheiten, mit Sorgen wachte er die
Stunden der Nacht hindurch über dem Schlaf des Kindes und trennte sich
schwer von seinem Anblick, als er als erster am Morgen das Lager
verlassen mußte. Das Kind aber erwachte später fröhlich wie immer, nur
bestand es mit hartnäckigen Bitten darauf, daß es wieder sein neues
Kleidchen und seine neuen Schuhe angezogen bekomme. Die Mutter
willfahrte ihm, kleidete es in sein neues Festgewand, kämmte sorgfältig
die lichten, duftigen Locken seines kleinen Hauptes und küßte mit
wollüstiger Zärtlichkeit seine zarten, weichen Glieder und hielt das
Kind den ganzen Vormittag in ihrer Nähe.
    Es war der vierundzwanzigste Juni, der längste Tag, die
kürzeste Nacht im Jahr. Der Tag hatte begonnen in wunderbarer
Schönheit. Die Morgenröte schoß feurig auf, der Tau der Nacht, kaum
erst gefallen, verging unter den ersten heißen Strahlen einer klar und
freudig am weißen Himmel herrschenden Sonne, der sich die Erde
entgegenbot, offen in weiter Ebene, stolz und prangend in herrlicher
Fruchtbarkeit. Von der Erde auf zum flirrenden Äther stießen die
Lerchen mit bebendem Schwung. Die Früchte reiften, die Tiere wuchsen,
die Menschen fühlten ihre Kräfte, die Arbeit war heiter.
    Auf dem Hofe begann das Leben früh. Der Herr hatte die
Arbeiten verteilt. Zuletzt rief er Fritz.
    »Du hilfst beim Dach,« sagte er, »auf Scheune vier wird Güse
neu decken. Schneide Weiden beim Teich, doch nur mittelstarke, von
denen soll Güse doppelte Lage nehmen. Wässere sie gut ein, zum Mittag
müssen sie weich sein. Friederike und Minna können dir helfen.«
    »Ich soll zum Teich?« sagte Fritz und erschrak. Doch sofort
fügte er gehorsam hinzu: »Ja, Herr«, senkte den Kopf und ging.
    Der Herr machte sich mit den Söhnen auf den Weg zum Wald, wo
er ihnen die fälligen Stämme, die zu schlagen waren, bezeichnen wollte.
Blank, der Wirtschafter, führte einen Teil des Gesindes zum Mähen in
Schlag sieben. Auf dem Hofe wurde in großen Holzkübeln Schweinefutter
gebrüht und gestampft, die Wagen gewaschen und Pferde getränkt, die
Kuhherde war zusammengetrieben, und die Melkerinnen schleppten die
großen Milchtröge ins Haus, überwacht von Emma, die alles maß und
zählte. Die Hirten jagten die Hammelherde vor sich her, dem Waldrand
zu, Kühe und Pferde folgten den Zügen auf die Weide, der Hof war bald
wieder leer. Im Garten sammelte die Frau mit zwei Mägden die roten
Trauben der Beeren, umspielt von der kleinen Anna.
    Fritz war nach dem Befehl des Herrn zum Teich gegangen, den er
bisher immer gemieden hatte. Mit zögernden Schritten näherte er sich
ihm, vorsichtig trat er durch das Weidengebüsch zum Ufer. Doch das
Wasser war nicht so, wie er es einmal geflohen hatte, dunkel glänzend
in winzigen, treibenden Wellen bewegt, sondern es war jetzt unsichtbar,
ausgelöscht vom Glast der Sonne, die auf ihm brütete. Unbeweglich,
fremd, wie eine blendende Schicht aus gleißendem Metall, lag der Teich
vor ihm. Kein Plätschern und Glucksen weicher, hüpfender Tiere war zu
hören, nirgends ihre pulsdurchzuckten Leiber zu sehen. Beruhigt beugte
er sich zu seiner Arbeit nieder, begann mit scharfem Messer die Weiden
auszuschneiden, genau gewählt nach dem Befehl des Herrn. Dann kamen
auch bald die beiden jungen Hirtinnen, Minna und Friederike, die die
lange Schar der Enten vor sich hertrieben. Die Tiere stießen unter
lautem Geschrei sofort in den Teich, und es war, als ob die unbeweglich
gleißende Fläche sich nur schwer unter den Ruderschlägen der Tiere
teilen könne, und die Wassertropfen, die bei ihrem Tauchen und
Schwimmen gläsern aufsprühten, schienen aus einer anderen Tiefe als der
des Teiches hervorgezaubert zu sein.
    Die Sonne stieg. Fritz schnitt die Weiden, die beiden
Hirtinnen banden sie in kleine Bündel und verankerten sie mit Steinen
im Wasser. Sie waren vierzehn Jahre alt, ihre Röcke waren noch kurz
über den nackten braunen Beinen, ihre blonden Zöpfe, am Ende ihres
Geflechtes mit einem roten Wollfaden zusammengebunden, fielen unter den
weißen, leinenen Kopftüchern hervor und schwangen mit im Übermut ihrer
kindlichen Bewegungen. Ihre Gesichter waren einander völlig gleich,
gesund und braun, mit

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