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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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Ende.
    Die Ernte war gut, die Ähren waren mit Körnern schwer gefüllt.
Trotz der Hitze war der Schnitt mit großer Freude begonnen worden.
Besonders die jüngeren unter dem Gesinde drängten sich zu der schweren
Arbeit auf den Feldern, tauschten sie gern gegen die leichtere in den
Ställen und im Hause ein. Man hatte das Mähen schon vor Sonnenaufgang
begonnen, da die Hitze am Tage oft allzu drückend war. In der zarten,
noch ganz von Schweigen und Schlaf erfüllten Morgendämmerung zogen die
Schnitter aus, leise setzte der Takt der Sensenhiebe ein, der zart
schwingende, helle Ton der Messer war zu hören bei dem Niedersausen
durch die Luft und bei dem Einschneiden in die Halme; dann wagte einer
das erste Lied, und im Chore fielen die Hiebe immer schneller und
kräftiger ein in die fruchttragenden Halme, die noch im Schutz der kaum
vergangenen Nacht zu schlummern schienen. Alle auf dem Felde
Arbeitenden waren froh, dem Unglückshause entronnen zu sein, alles
lachte und trieb Scherze. Quälte die Sonnenglut sie allzusehr,
wanderten die Leute von der Arbeit weg zu dem nahen Forst, legten sich
auf Moos, an versteckt rieselnden Bächen nieder.
    In fast übermenschlicher Weise war Fritz von frühmorgens bis
spät nachts ununterbrochen fleißig. Er öffnete und reinigte die Ställe,
versorgte das Vieh, schleppte beim Melken die großen Kübel zum Keller,
das Wasser vom Brunnen in die Küche, trug das Essen auf die Felder,
band an den Garben mit, begoß den Garten, der ohne seine Fürsorge in
der Glut längst verdorrt wäre. Vor allem hielt er Ordnung, räumte jedem
nach, und nichts entging seinem Blick. Er war flink, eifrig, gewandt
wie nie. Er war da, wenn er gebraucht wurde, und verschwand ebenso
schnell, wie er gekommen, wenn er die Arbeit getan hatte. Niemand sah
wirklich und nahe sein Gesicht, kein Blick erkannte wirklich sein Auge.
Er war ruhig und heiter. Abends, wenn er seine letzte Arbeit noch tat,
die schweren Ackerpferde am Brunnen wusch und striegelte, ließ die
fieberhafte, rastlose Kraft seiner Arme und Hände nach, seine
Bewegungen wurden langsam; sanft strich er mit der Bürste über das Fell
der Tiere, und mit müder Zärtlichkeit ließ er seine linke Hand auf den
Hals des letzten Pferdes niederklatschen und dort ruhen, wenn er neben
ihm zum Stalle schritt. Leise sang er mit seiner hohen, schönen und
sanften Stimme. Eine vollkommene Müdigkeit erfüllte ihn, schnell sank
er in tiefen Schlaf.
    Nun standen die Garben in unabsehbaren Reihen, und es wurde
mit dem Einfahren begonnen.
    Vier Gespanne, zwei Gespann Pferde, zwei Gespann Ochsen
arbeiteten den ganzen Tag. Die Pferde führte Fritz. Er schirrte ein,
lenkte die Wagen auf die Felder und ließ sich die Mühe und Arbeit nicht
verdrießen, während des Aufladens die Pferde wieder auszuschirren, sie
bis zum Rand des Waldes zu führen, aus der brennenden Sonne in den
Schatten. Er selbst half dann beim Aufladen, und sein Wagen, am
höchsten mit Getreide aufgetürmt, war doch vor allen anderen Wagen
fertig. Der Wirtschafter schlug ihm freundlich auf die Schulter und
sagte: »Nun komm, Junge, nun wollen wir auch in Gottes Namen als die
ersten einfahren!« Und er schwang sich neben Fritz auf den schmalen
Kutschbock; mit gekrümmtem Rücken mußten sie sitzen unter dem
überneigenden Dach der aufgebauten Garben. Fritz schnalzte leise, aber
scharf mit der Zunge. Die ungeheuren Muskeln der Pferde spannten sich,
faltig schob sich das Fell an den Schenkeln zusammen, noch ein kurzer
Ruck an den Zügeln, und der Wagen zog an, kam langsam, Schritt für
Schritt von dem Feld auf die Wegspur, die zwischen den Wiesen
entlanglief, nahm dann schwankend den Weg am Brunnen vorbei über das
holprige Pflaster des Hofes. Hier hielt er still. Die Pferde schnauften
und schlugen mit den schweren Hufen die Steine. Fritz saß ruhig, die
Zügel in der Hand, der Wirtschafter war abgestiegen und wischte sich
den Schweiß von der Stirn. Hundert Schritt vor ihnen lag die Scheune
Nummer vier. Das ungeheure Tor war weit geöffnet, wie schwarze Nacht
lag die dunkle Tiefe des Raumes zwischen seinem Rahmen. Fritz maß mit
den Blicken die etwas abschüssige Auffahrt, und berechnete den Anlauf,
den er mit Pferden und Wagen nehmen müßte.
    »Nun los«, sagte der Wirtschafter und wollte helfend in die
Speichen der Räder greifen.
    Fritz aber erhob seine Peitsche und ließ sie mit einem
schweren Hieb über die Rücken der Pferde sausen.

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