Das verlorene Kind
mit haßerfüllter Unruhe inmitten des
Kreises, der ihn, die Söhne und die Hirtinnen, um eine Arbeit geschart,
umfaßte. Durch die furchtbare Kälte aus seinem Alleinsein in die Nähe
von Menschen gezwungen, war er von Wut und Qual erfüllt. Krampfhaft
sich zu Fleiß und Ruhe zwingend, flocht er mit an einem Weidenkorb, mit
äußerster Sorgfalt darauf bedacht, daß seine Finger sich nicht mit den
Händen der anderen berührten. Die jungen Leute lachten viel. Die Söhne
neckten die Mädchen, banden ihre langen Zöpfe an die Stühle fest und
flochten heimlich das Rockende der kleinen Minna in das Weidengeflecht
mit ein. Als sie dann aufstehen wollte, ward sie festgehalten und zudem
war der Rock so eng geworden, daß er sich bis zu den Knien hinaufschob
und ihre Beine mit den zarten Formen beginnender Weiblichkeit zeigte.
Knaben und Mädchen erröteten, aus Verlegenheit begannen sie sich
miteinander zu prügeln, und es dauerte lange, bis der Rock wieder frei
war und die beiden Hirtinnen, halb weinend, halb lachend, hochgeröteten
Gesichts zur Tür hinausschossen. Fritz saß still, mit zusammengepreßten
Lippen, rührte sich nicht, lachte nicht. Er krampfte seine Hände fest
an den Rand seines Geflechtes. Langsam füllte sich sein durch lange
Zeit unverändert weiß und ruhig gebliebenes Gesicht mit schwer
vordrängendem Blut, überzog sich mit schwarzer, drohender Röte, sein
Mund öffnete sich, die Lippen zitterten. Schnell stand er auf und ging
hinaus, ging mit stoßenden, in den Knien einknickenden Schritten über
den Hof, flüchtete vor Menschenwärme und Eiseskälte in den Stall.
Hier war es dunkel. Der sonst schwere Geruch von Dünger und
Streu war dünn und stechend in der Kälte. Eine warme Dunstwolke
schwebte, nur eng und scharf umgrenzt, über den dicht
aneinandergedrängten Tieren, die von Zeit zu Zeit ein trübes,
klägliches Brüllen ausstießen, unter dem das anhaltende leise Knirschen
ihrer mahlenden Kiefer erstickt wurde. Ihre großen dunklen,
ineinandergelagerten Leiber hoben und senkten sich wie die heimlich
erregten Wellen eines stehenden Wassers in der Dämmerung, nur die Euter
der Kühe schimmerten licht hervor. Fritz sah sich um. Er wollte
arbeiten, aus seinem Körper die gesammelte Wut, die quälende Kraft
herausschleudern. Doch es war um diese Stunde nichts zu tun. Er stand
still und starrte auf die Tiere. Die Kälte umzog ihn von allen Seiten,
legte sich um ihn wie ein schwerer, enger Panzer aus Eis. Er erstarrte.
Er fühlte nur noch sein Herz, das in weichen, lauen Schlägen lockend
auf und nieder stieß, er fühlte wollüstig seine Zähne, die er
knirschend aufeinanderpreßte. Sein böses, wildes, mörderisches Gesicht
stieg auf, die schönen Züge weiteten sich aus, unter den geschlossenen
Lidern rollten die Augen in jagenden Kreisen.
Die zeugenden Gewalten, wie sie nach dem mächtigsten Gesetz
jedes lebende Geschöpf in sich trägt, wie sie, zu tiefst ihm selbst
verborgen, auch in seinem Blute wohnten, wie sie eingeboren auch in
seinem Körper mitgewachsen waren von der ersten, rätselhaften Sekunde
an, in der, weit noch vor der Geburt, sein Leben begonnen hatte, jene
Gewalten, wie sie Sturm und Flug der menschlichen Seele schufen, allen
anderen zu Glück, zu liebevoller Vereinigung, ihm aber zu Einsamkeit
und böser Tat, ihm waren es furchtbare Gewalten, ihm schufen sie eine
nie glücklich zu sättigende Lust.
Doch Fritz wußte nicht, daß er litt. Sein böses Glück war ihm
reines Glück. Er hatte keine Erkenntnis, darum war Erbarmen mit ihm.
Aufgerührt war sein schweres schwarzes Blut, doch Eiseskälte hielt
seinen Körper umpanzert. Er stand still, fühllos die Glieder, das Herz
bewegt von weichen Schlägen, Kälte und Dämmerung um ihn, die stummen,
dunklen Tiere in verschwommener, breiter Masse vor ihm gelagert. Da
weckte ihn das Stampfen der Pferde, das gedämpft, aber unaufhörlich aus
den hinteren Ställen zu ihm drang. Er wandte sich um und versuchte zu
gehen. Seine steifen Beine konnten ihm kaum gehorchen, er schob sie
Schritt für Schritt wie zwei hölzerne Stecken voran, er lachte, denn es
war wie im Rausch. Endlich kam er in den Pferdeställen an. Wie Donnern
umdröhnte sein blutgefülltes Ohr das Stampfen der Pferde, die mit den
Köpfen dicht aneinandergedrängt standen, während ihre Hinterbeine
ausschlugen. Seine Glieder betäubt durch Kälte, sein Ohr durch das
Donnern der Hufe, die Augen blind durch Stöße
Weitere Kostenlose Bücher