Das verlorene Kind
heißen Blutes, die Kehle
umkettet von den ineinanderhackenden Herzschlägen, näherte sich Fritz
den Tieren. Hölzern, steif und langsam hob er seine Hand und drängte
sie um die Nüstern eines Pferdes. Aber die Hand war erstarrt, er fühlte
nichts. Er fühlte nicht die böse Lockung weichen Fleisches, fühlte kein
zweites Herz mit jagenden Schlägen im Innern seiner Hand. Er wartete,
voll Angst, voll Begierde. Schon begann die Hand sich langsam an den
weichen feuchten Nüstern zu erwärmen, schon begann sie feuchte, laue
Liebkosung zu fühlen, sammetweiche Haut, die sich einschmiegte in das
erwachende Innere seiner Hand, schon antwortete sein Herz in drängenden
Stößen, da traf der Hieb eines ausschlagenden Tieres gegen seine
Schenkel. Er taumelte zurück und stürzte zu Boden. An den erstarrten
Gliedern fühlte er keinen Schmerz, aber als sein Kopf auf den Boden
aufschlug und nun stärker dröhnte als die Schläge des Herzens in der
Brust, öffnete sich sein in den Zähnen festgebissener Mund, und er
lachte, lachte sein lautloses, zischendes Lachen, das seinen steif
gefrorenen Körper nicht erschüttern, sondern ihn nur wie ein Stück Holz
hin und her rücken konnte. Als er im Lachen endlich allen
lustgespannten Atem ausgeströmt hatte, erhob er sich mühsam, schob sich
wieder Schritt für Schritt in den Kuhstall zurück, und plötzlich
ergriff ihn der Gedanke, daß Ordnung sein müsse. Er sah an sich
hernieder, doch alles war gut, die Kleider nicht geöffnet. Er sah sich
in der Dämmerung um, doch es gab nichts zu verbergen, nichts zu
vergraben. Endlich erblickte er in einer Ecke eine breitgezinkte
Mistgabel. Mit dem Aufgebot ungeheurer Energie packte er sie mit seinen
steifen, fühllosen Händen und begann den am Rande des Stalles
festgefrorenen Dung, der in einer dicken Kruste den Boden bedeckte, mit
der Spitze der Zinken loszustechen, aufzukratzen und
zusammenzuschieben. Als er, schon ermüdet und tief beruhigt, noch
einmal in eine von Dunkelheit ganz verhüllte und mit alter Streu hoch
angefüllte Ecke stach, fühlte er plötzlich weichen Widerstand in den
Zinken der Gabel. Er zog sie zurück, an den zwei mittleren Zinken hing,
durch Bauch und Brust gespießt, eine Ratte. Sie schrie, er konnte im
Dunkeln nur das rasende Zappeln ihrer Pfoten erkennen, das Aufblitzen
ihrer schwarzglänzenden Augen, und, als er die Gabel langsam höher hob,
einen Tropfen dunkelroten Blutes, das in das Schwarz des Bodens
niederfiel. Langsam senkte er die Gabel wieder, langsam schob er seinen
rechten Fuß vor, schob die Ratte vorsichtig von der Gabel herunter und
begrub sie unter seinem Tritt. Er hörte nur das leise Krachen der
Knochen, sein Fuß war fühllos, schwer wie Stein niedergeschlagen. In
der erfrorenen Erde konnte er keine Grube graben, so verscharrte er das
tote Tier in einer Höhlung, die er in dem vereisten,
zusammengescharrten Mist mit der Gabel auskratzte, und schichtete einen
sauberen Haufen auf, den er mit frischer Spreu bedeckte. Dabei begann
er leise zu singen, hoch, hell, sanft, und nach und nach fielen die
Stöße schneller von seinen steifen Händen. Schon hörte er das Klappern
der Melkerinnen, die mit ihren Eimern über den eisigen Hof gelaufen
kamen. Mit weißem, ruhigem, sanft geebnetem Gesicht ging er ihnen
entgegen, es war alles in Ordnung, es war nichts geschehen. Leicht,
unfühlbar ihm selbst war sein Körper; als er über den Hof ging, war
ihm, als flöge er, obwohl er schwer und mühsam seine Beine
vorwärtssetzen mußte. Obwohl die Kälte, die seinen Körper schon längst
erstarrt hielt, nun auch sein Gesicht überfiel, Wangen und Ohren ihm zu
schmerzen begannen, wollte er nicht zurück in die wärmende Küche, nicht
in die Nähe der Menschen. Er stand zögernd noch in dem eisigen Hof, da
traf er an der Tür die Mutter. Sie hatte sich fest in ein großes Tuch
eingewickelt, das sie beim Sprechen gegen ihren Mund hielt. Sie sah in
sein blasses, jetzt von der Kälte ganz zusammengeschrumpftes Gesicht.
»Wo warst du?« fragte sie.
»In den Ställen habe ich ein bißchen Ordnung gemacht.«
»Wozu bei der Kälte? Du kannst krank werden, das will der Herr
nicht. Wir können es jetzt ruhig bei dem Nötigsten belassen. Die Vesper
hast du auch versäumt. Nun schnell, schaff Wasser!«
Ohne einzutreten und sich zu erwärmen, lief Fritz zum Brunnen.
Aber das Wasser, das mittags noch geflossen hatte, war längst wieder
vereist. Er lief also zum
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