Das verlorene Kind
Doppeltakten antwortete sein Herz. Gestalten bildeten sich. Aus den
schlammgefüllten Händen entsprangen weich, in gleitenden Sätzen, dunkle
Leiber hüpfender Tiere, Fröschen gleich. Sie hockten still einen
Augenblick lang auf den schwarzen Wellen zu seinen Füßen, die weichen
Leiber blähten sich auf und sanken wieder ein unter den springenden
Schlägen der Herzen, matt blinkten Augen auf, dann zerfloß alles wieder
zu Schlamm. Er strebte, die Hände loszureißen aus der Tiefe seines
Leibes, sie aus dem gleitenden Dunkel des Morastes aufzuheben zur
Brust, die noch rein und frei in lichter, brennender Glut stand. Er
wollte die ausgekühlten Hände auf sein jagendes Herz legen, aber er
sank ein, tiefer in sich selbst, der sich bis zu den Hüften schon in
weichen Schlamm aufgelöst hatte, er selbst war Schlamm und aufquellende
Tiere in seinen Händen. Da durchfuhr wie ein Messerhieb scharfer
Schmerz sein Herz. Mit Gewalt rissen sich seine Hände aus dem zähen
Schlamm, schwangen sich hoch, weit über sein Haupt empor, das er zu
ihnen erhob. Von oben fiel Licht auf ihn herab, und aus den erhobenen
Fäusten rieselte Blut, überfloß heiß seine Augen, seinen Mund, rieselte
über den Hals zur Brust, umspülte sein Herz und trat in brennenden
Strömen an seinem Leib wieder hervor. Der kühlende Schlamm zu seinen
Füßen war verronnen.
Er beugte sich nieder. Mit den Händen grub er Erde auf, um
sein niederrinnendes Blut zu verbergen. Er scharrte und verdeckte, aber
von seinem Leib rann es unaufhörlich nieder, und immer wieder neue
Spuren mußte er verbergen. Und plötzlich kam der Herr über den Hof
geschritten, und er flüchtete zum Teich, der gleißend, unbeweglich wie
Metall vor ihm lag. Er stampfte durch hochaufgeschichtete Weiden, die
nach seinen Beinen stachen, ihn überflutete Schmerz und Wut. Er ergriff
eine Weidenrute, bog sie zusammen, und plötzlich zersplitterte sie in
seiner Hand. Da glitt zwischen seinen Beinen hervor die kleine Anna,
sie lachte, rosa und feucht schimmerte die Höhle ihres geöffneten
Mundes. Das Kind glitt an ihm hoch, saß auf seinen Händen, kühl und
weich ruhte ihr Fleisch in ihnen, er stürzte hin, nieder auf sie, beide
stürzten nieder auf das Wasser, an dessen Rand sie standen. Aber das
Wasser war fest, ein glühender Rost, das Kind unter ihm verschwand, nur
er sank nicht ein, auf hartem, brennendem Lager wand sich sein Körper.
Er erwachte und erschrak. Hatte er nicht die kleine Anna
gesehen? Sie war doch verschwunden seit so langer Zeit, alles hatte
nach ihr gesucht, niemand hatte sie gefunden. War denn nicht alles in
Ordnung? Er wollte sich erheben, in den Hof laufen, aber sein Körper
rührte sich nicht. Furchtbarer, glühender Schmerz marterte ihn. Die
Mutter mußte ihn tragen, dachte er. Die Mutter mußte ihn heben und an
sich drücken, sie mußte ihn waschen, von seinem Leib den Schlamm, das
Blut abwaschen, ihn heilen, denn er selbst konnte es nicht. Dann war
alles gut.
Am nächsten Morgen konnte er nicht aufstehen. Das einzige, was
er bewegen konnte, war sein Kopf, doch auch der sank schwer, ohnmächtig
zurück, wenn er ihn erhob. Als zur gewohnten Zeit die Ställe, die zu
besorgen jetzt sein Amt war, noch nicht offen waren, eilte die älteste
Milchmagd, ihn zu wecken. Als er nicht hörte, machte sie Licht und sah
ihn, fiebernd, mit dunklem, aufgeschwollenem Gesicht. Sie rief Emma,
die Mutter. Die kam herangestürzt. »Was hast du?« fragte sie erschreckt
den Sohn. »Hast du Schmerzen?«
Er antwortete nicht, hatte sie wohl gar nicht gehört.
Sie versuchte ihn auszukleiden, doch die geschwollenen Füße
staken so fest in den Schuhen, daß sie sie nicht herunterbrachte. »Was
hast du,« sprach sie von neuem, »du bist doch nicht krank, warum hast
du dich mit den Kleidern ins Bett gelegt?« Als sie wieder keine Antwort
erhielt, erschrak sie tief. Sie erinnerte sich plötzlich an die
furchtbare Krankheit, die er als Kind gehabt hatte, damals, nach der
einzigen Begegnung mit dem Vater. Hastig ergriff sie die Kerze und
leuchtete in sein Gesicht. Aber es war nicht böse, nicht teuflisch, wie
damals, als sie sich vor ihm gefürchtet hatte. Es war rot und heiß und
krank, aber es war das vertraute Gesicht ihres Kindes. Sie lief nun
schnell in die Küche und holte ein Messer, schnitt die Stiefel auf und
zog sie ihm vorsichtig von den hartgeschwollenen Füßen herab. Auch die
Strümpfe mußte sie aufschneiden, sie
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