Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
Vom Netzwerk:
ruhte auf seiner Wange, sein blondes Haar fiel über die
Stirn wie die Locken eines Kindes, sein Mund und Kinn gruben sich weich
in die Falten des Kissens. Sein Gesicht war blaß und zart. Sie rief ihn
leise; er hörte nicht. Sie zog die Hand von der Decke zurück. Sie
vermochte nicht, ihn jetzt aufzudecken. Er schlief so gut. Das Fieber
schien vorbei, und auch die Wunde würde heilen. Als sie mittags mit der
Suppe zu ihm kam, war er wach und lächelte ihr entgegen. Schnell
umfaßte sie seinen Kopf und preßte ihn gegen ihre Brust.
    Sie aßen zusammen die Suppe, sprachen nicht und lächelten sich an. Er
versuchte auch aufzustehen, doch die Wunde schmerzte zu heftig, auch
kam er mit den immer noch geschwollenen Füßen nicht in die Schuhe. Aber
er pflegte von nun an seine Wunde selbst, die Mutter brachte ihm nur
warmes Wasser, frisches Leinen und Salbe. Nachts schlief sie jetzt in
der kleinen Gaststube, was ihr der Herr angetragen hatte, und so vergaß
sie ein wenig ihre Furcht und die Scham vor dem eigenen Kinde.
    Nach acht Tagen konnte Fritz aufstehen und an einem Stock
durch das Haus gehen, und nachts schlief er zum ersten Male wieder in
seiner Kammer. Am nächsten Morgen stand er früh auf und wollte, wie
immer, an seine Arbeit gehen. Obwohl die Wunde noch schmerzte und er
das Bein nur steif bewegen konnte, humpelte er nach den Ställen. Doch
Anton, der jüngste Knecht nach ihm, war da, und alle seine Arbeit war
schon getan. Voll Zorn und Eifersucht zitterte Fritz am ganzen Körper.
Er trat neben den Knecht, der an einer Krippe stand, die langen Arme um
ein Bündel Heu gepreßt, das er den raufenden Pferden hinhielt. Fritz
bohrte seinen rechten Ellbogen in die Rippen des Knechtes, wollte ihn
verdrängen. Der Knecht, sehnig und stark, ließ das Heu fallen,
verteilte es in die Krippe und lachte gutmütig.
    »Laß nur, kleines Fräulein« (so nannten die Kameraden Fritz
oft wegen seiner schönen hellen Stimme und wegen seiner Sanftmut),
»plag' dich doch nicht. Bist ja verwundet, Kamerad.« Und er ging tiefer
in den Stall hinein, um von einem Fach, das Fritz selbst einmal
zwischen zwei Wänden in der Ecke gezimmert hatte, und das den
Futtervorrat für eine Woche bergen konnte, neues Heu zu greifen. Fritz
sah ihm zu, plötzlich hob er seinen schweren Stock mit eiserner Spitze,
auf den er sich gestützt hielt, und schleuderte ihn mit ungeheurer
Wucht nach dem Kopf des Knechtes. Der hatte, die Arme voll Heu, sich
gerade gewendet. Der Stock flog an seinem Kopf vorbei gegen die Wand,
zersplitterte dort völlig, und einige Teile prallten zurück, über die
Köpfe und Leiber der Tiere nieder. Fritz keuchte vor Zorn und Angst
zugleich. Der Knecht blickte auf, zu ihm hin. Erst an seinem
wutverzerrten Gesicht erkannte er die böse Absicht. »Nanu,« sagte er,
ließ das Heu fallen und ging langsam auf Fritz zu, »bist wohl verrückt
geworden? Weißt wohl noch nicht, was ein Mann ist, Fräulein, was?
Willst du mit mir anfangen? Mit mir nicht, du, geh erst zu einem
Mädchen, da fang an, du, nicht mit mir.« Er lachte schon wieder, voll
Ruhe und Kraft schob er Fritz, der am ganzen Körper bebte, zur Tür
hinaus und schloß sie hinter sich. Fritz lief in seine Kammer, hockte
sich auf das Bett; fest umwickelt von Decken, versteckte er sich,
rührte sich nicht, auch zum Frühstück ging er nicht hinunter. Gegen
Mittag klopfte er bei dem Herrn an und trat ein. »Ich will fort,« sagte
er, ohne Gruß zuvor, »hier ist keine Arbeit mehr für mich.«
    »Du hast doch deine Arbeit«, sagte der Herr erstaunt.
    »Nein, der Anton hat sie genommen.«
    »Du warst ja krank, er soll sie dir wiedergeben.«
    »Nein, es ist nicht mehr meine Arbeit, ich will fort.«
    »Fort, von deiner Mutter?«
    »Ich will fort.«
    Der Herr sah ihn an, seine junge Gestalt, sein kindliches
Gesicht Er war aufgewachsen in seinem Hause wie ein dritter Sohn. Die
Söhne wollte er fortschicken, retten von diesem unglücklichen Haus.
Diesen hatte er vergessen. Ja, er sollte auch fort, es war gut, wenn
die Jugend von hier floh.
    »Wo willst du denn hin?« fragte er.
    »Zu Pferden.«
    »Na gut, wenn du durchaus willst, ich werde mich für dich
umsehen, laß das Bein nur erst heilen.«
    »Danke, Herr.«
    Nun begann eine böse Zeit für Fritz, er hatte keine Arbeit
mehr. Nie ging er mehr in die Ställe, seitdem er den andern »seine«
Arbeit hatte tun sehen. Finster und träge verkroch er sich stundenlang
in einem Winkel

Weitere Kostenlose Bücher