Das Verlorene Labyrinth
Anwesenheit hier nur einem einzigen Zweck dient. Wenn Ihr Eure Angelegenheiten hier im Süden mit meiner Hilfe vorzeitig regeln könnt, sehe ich keinen Grund, warum Ihr länger verweilen solltet als Eure vierzig Tage.«
D'Evreux lächelte gepresst. »Ihr habt kein Vertrauen in die Überzeugungskraft Eures Herrn Trencavel?«
»Bei allem Respekt für die, unter deren Banner Ihr kämpft, mein Herr, ich glaube nicht, dass es in der Absicht des verehrten Abtes liegt, dieses Aufeinandertreffen mit diplomatischen Mitteln zu beenden.«
D'Evreux starrte sie lange an. Oriane wagte kaum zu atmen. »Ihr versteht es, Eure Trümpfe auszuspielen, Dame Oriane«, sagte er schließlich.
Sie neigte den Kopf, erwiderte aber nichts. Er erhob sich und ging auf sie zu.
»Ich nehme Euren Antrag an«, sagte er und reichte ihr einen Kelch.
Diesmal nahm sie ihn.
»Da wäre noch etwas«, sagte sie. »In der Begleitung von Vicomte Trencavel befindet sich ein chevalier, Guilhem du Mas. Er ist der Gemahl meiner Schwester. Falls es in Eurer Macht steht, wäre es ratsam, seinen Einfluss zu mindern.« »Auf Dauer?«
Oriane schüttelte den Kopf. »Vielleicht kann er uns bei unseren Plänen noch nützlich sein. Aber es wäre ratsam, seinen Einfluss einzuschränken. Vicomte Trencavel schätzt ihn sehr, und da mein Vater nicht mehr lebt...«
D'Evreux nickte und schickte François los. »Und nun, Dame Oriane«, sagte er, sobald sie allein waren. »Keine Ausflüchte mehr. Sagt mir, was Ihr anzubieten habt.«
Kapitel 62
Alaïs ! Alaïs ! Aufwachen!«
Jemand rüttelte sie an der Schulter. Das war falsch. Sie saß am Flussufer, in der friedlichen Ruhe und dem gesprenkelten Licht ihrer kleinen Lichtung. Sie spürte, wie ihr das kühle Wasser zwischen den Zehen hindurchrann, kalt und erfrischend, und sie genoss die weiche Liebkosung der Sonne auf ihren Wangen. Sie schmeckte den kräftigen Corbieres-Wein auf der Zunge, und ihre Nase war erfüllt von dem köstlichen Duft des warmen Weißbrots, das sie an den Mund hob.
Neben ihr lag Guilhem schlafend im Gras.
Die Welt war so grün, der Himmel so blau.
Sie erwachte mit einem Ruck und merkte, dass sie noch immer im dumpfen Halbdunkel des unterirdischen Ganges war. Sajhë stand neben ihr.
»Ihr müsst aufwachen, Dame Alaïs .«
Alaïs setzte sich rasch auf. »Was ist geschehen? Ist etwas mit Esclarmonde?«
»Vicomte Trencavel ist gefangen genommen worden.« »Gefangen«, wiederholte sie verwirrt. »Gefangen? Wo? Von wem?«
»Man sagt, es war Verrat. Die Leute sagen, die Franzosen haben ihn in ihr Lager gelockt und überwältigt. Andere sagen, er hat sich selbst ausgeliefert, um die Ciutat zu retten. Und ...«
Sajhë sprach nicht weiter. Selbst in dem Dämmerlicht konnte Alaïs sehen, dass er rot wurde.
»Was ist denn?«
»Dame Oriane und chevalier du Mas sollen zur Eskorte des Vicomte gehört haben.« Er zögerte. »Auch sie sind nicht zurückgekehrt.«
Alaïs sprang auf. Sie blickte zu Esclarmonde hinüber, die friedlich schlief. »Sie ruht. Sie wird uns eine Weile nicht brauchen. Komm. Wir müssen herausfinden, was vor sich geht.«
Sie liefen geschwind durch den Gang und stiegen die Leiter hinauf. Alaïs klappte die Falltür auf und zog Sajhë hinter sich hoch. Überall auf den Straßen hasteten verunsicherte Menschen ziellos umher.
»Könnt Ihr mir sagen, was geschehen ist?«, rief sie einem Mann zu, der an ihnen vorbeikam. Er schüttelte bloß den Kopf und lief weiter. Sajhë nahm ihre Hand und zog sie in ein kleines Haus auf der anderen Straßenseite.
»Gaston wird es bestimmt wissen.«
Alaïs folgte ihm. Gaston und sein Bruder Pons standen auf, als sie eintrat.
»Herrin.«
»Stimmt es, dass der Vicomte gefangen genommen wurde?«, fragte sie.
Gaston nickte. »Gestern Morgen ist der Comte von Auxerre gekommen und hat ein Treffen zwischen Vicomte Trencavel und dem Comte von Nevers angeboten, in Anwesenheit des Abtes. Er ist mit kleinem Geleit losgeritten, Eure Schwester war auch dabei. Was danach geschehen ist, Dame Alaïs , weiß keiner. Entweder hat sich unser Herr Trencavel aus freien Stücken ausgeliefert, um unsere Freiheit zu sichern, oder aber er wurde hintergangen.«
»Keiner ist zurückgekommen«, fügte Pons hinzu.
»Wie dem auch sei, der Kampf ist vorüber«, sagte Gaston leise. »Die Garnison hat sich ergeben. Die Franzosen haben schon die Haupttore und Türme besetzt.«
»Was?!«, rief Alaïs und blickte fassungslos von einem Gesicht zum nächsten. »Wie lauten die
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