Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
Vom Netzwerk:
Eis brachen. Guil hem merkte rasch, dass Sajhë die Gegend viel besser kannte als er.
    Er wusste ein wenig über Sajhë s Vergangenheit, zum Beispiel, dass er Botschaften von den parfaits in die einsamen und weit verstreuten Dörfer der Pyrenäen gebracht und die Rebellen mit Informationen versorgt hatte. Es war offensichtlich, dass der jüngere Mann jedes Tal, jeden Pass und jeden verborgenen Pfad in den Wäldern, Schluchten und Ebenen kannte.
    Zugleich spürte Guilhem, dass Sajhë ihn aus tiefstem Herzen ablehnte, wenngleich er nichts sagte. Es war, als würde ihm eine gnadenlose Sonne im Nacken brennen. Guilhem kannte Sajhë s Ruf als verlässlichen, tapferen und ehrbaren Mann, der bereit war, sein Leben für das, woran er glaubte, zu opfern.
    Und trotz seiner Feindseligkeit konnte Guilhem verstehen, warum Alaïs diesen Mann lieben und ein Kind mit ihm haben konnte, auch wenn der Gedanke für ihn wie ein Stich ins Herz war.
    Sie hatten Glück. In der Nacht fiel kein frischer Schnee. Der folgende Tag, der 19. März, war hell und klar, mit nur wenigen Wolken und kaum Wind.
    Sajhë und Guilhem erreichten Los Seres in der Abenddämmerung. Das Dorf duckte sich versteckt in einem kleinen abgeschiedenen Tal, und trotz der Kälte lag der weiche Duft des Frühlings in der Luft. Die Bäume am Rande des Dorfes waren mit grünen und weißen Knospen übersät. Die allerersten Frühlingsblumen lugten verschämt aus den Hecken und Böschungen, als sie den Pfad entlangritten, der zu der kleinen Ansammlung von Häusern führte. Das Dorf schien menschenleer zu sein, verlassen.
    Die beiden Männer saßen ab und führten ihre Pferde das letzte Stück bis zur Dorfmitte. Das Geräusch der Hufeisen auf Stein und Pflaster und harter Erde hallte laut durch die Stille. Aus einigen wenigen Häusern stiegen vorsichtig dünne Rauchfahnen auf. Durch die Ritzen der Fensterläden spähten argwöhnische Augen und verschwanden dann gleich wieder. Französische Deserteure waren hier oben in den Bergen zwar eine Seltenheit, aber nicht gänzlich unbekannt. Normalerweise bedeuteten sie Ärger.
    Sajhë band sein Pferd neben dem Brunnen an. Guilhem tat es ihm gleich und folgte ihm dann durch das Dorf bis zu einer kleinen Hütte. Im Dach fehlten Schindeln, und die Fensterläden waren reparaturbedürftig, aber die Mauern waren robust. Guilhem dachte, dass es nicht schwer sein dürfte, das Häuschen wieder zum Leben zu erwecken.
    Guilhem wartete, während Sajhë gegen die Tür drückte. Sie hatte sich durch Feuchtigkeit verzogen und bebte in den Angeln, da sie so lange nicht benutzt worden waren, doch sie öffnete sich knarrend weit genug, um Sajhë einzulassen.
    Guilhem trat hinter ihm ein. Nasskalte, grabähnliche Luft legte sich ihm auf Gesicht und Hände, und bald hatte er kein Gefühl mehr in den Fingern. An der Wand gegenüber der Tür lag ein Berg aus Laub und Reisig, der offenbar vom Winterwind hereingeweht worden war. Eisfinger überzogen die Innenseite der Fensterläden und lagen wie ein zerzauster Fransenbesatz auf der Türschwelle.
    Die Überreste eines Mahls standen auf dem Tisch. Ein alter Krug, Teller, Becher und ein Messer. Auf dem abgestandenen Wein schwamm eine Schimmelschicht, wie grüne Wasserpflanzen auf einem Teich. Die Bänke waren ordentlich an der Wand aufgereiht.
    »Ist das Euer Heim?«, fragte Guilhem behutsam.
    Sajhë nickte.
    »Wann seid Ihr fortgegangen?«
    »Vor einem Jahr.«
    In der Mitte des Raumes hing ein verrosteter Kochtopf über einem Haufen Asche und verkohltem, längst verglimmtem Holz. Guilhem sah gerührt, wie Sajhë sich vorbeugte und den Deckel geraderückte.
    Weiter hinten im Raum war ein zerschlissener Vorhang. Sajhë hob ihn an, und dahinter kam ein weiterer Tisch mit je zwei Stühlen auf jeder Seite zum Vorschein. An der Wand waren Regale mit schmalen, fast leeren Brettern. Ein alter Mörser mit Stößel, ein paar Schalen und Tiegel, einige verstaubte Gläser, das war alles, was noch übrig war. Über dem Regal waren in der niedrigen Decke kleine Haken befestigt, an denen ein paar staubige Kräutersträuße hingen. Ein dürrer Zweig Flohkraut und ein Büschel Brombeerblätter.
    »Für ihre Arzneien«, sagte Sajhë zu Guilhems Überraschung. Er hatte still dagestanden, die Hände vor dem Körper gefaltet, weil er Sajhë nicht in seinen Erinnerungen stören wollte.
    »Die Leute kamen von überall her, Männer wie Frauen. Wenn sie krank waren oder ihre Seele betrübt war oder um ihre Kinder gesund durch den

Weitere Kostenlose Bücher