Das Verlorene Labyrinth
geben Sie mir jetzt einfach den Ring und sagen Sie mir, wo das Buch der Wörter versteckt ist ...«
Audric zwang sich, seine Gedanken auf Marie-Cecile zu richten, nicht auf Alice.
»Warum sind Sie sich so sicher, dass es noch in der Kammer ist?«
Sie lächelte. »Weil Sie hier sind, Baillard. Warum wären Sie sonst gekommen? Bevor Sie sterben, wollen Sie wenigstens einmal sehen, wie die Zeremonie durchgeführt wird. Sie ziehen jetzt die Robe an«, schrie sie plötzlich ungeduldig. Sie deutete mit der Pistole auf das Stück weißen Stoff, das oben auf den Stufen lag. Er schüttelte den Kopf, und für den Bruchteil einer Sekunde sah er Unsicherheit in ihrem Gesicht. »Und dann zeigen Sie mir das Buch.«
Er bemerkte drei kleine Metallringe, die im unteren Bereich der Kammer in den Boden eingelassen worden waren. Und er erinnerte sich, dass Alice die Skelette in ihrem flachen Grab gefunden hatte.
Er lächelte. Bald würde er die Antwort finden, die er suchte.
»Audric«, flüsterte Alice und tastete sich weiter den Tunnel entlang.
Wieso antwortet er nicht?
Wie beim ersten Mal spürte sie, dass der Boden leicht abschüssig war. Aber diesmal kam ihr der Tunnel länger vor.
Weiter vorn in der Kammer sah sie einen schwachen gelben Lichtschein.
»Audric«, rief sie erneut, mit wachsender Angst.
Sie ging schneller, brachte die letzten Meter im Laufschritt hinter sich und stürmte schließlich in die Kammer. Sofort blieb sie wie angewurzelt stehen.
Das kann nicht sein.
Audric stand am Fuß der Treppe. Er trug eine lange weiße Robe. Ich erinnere mich daran.
Alice verscheuchte die Erinnerung aus ihrem Kopf. Audrics Hände waren vor dem Körper gefesselt, und er war mit einem
Strick am Boden festgebunden wie ein Tier. Am hinteren Ende der Kammer wurde Marie-Cecile de l'Oradore von einer Öllampe beschienen, die auf dem Altar flackerte.
»Ich denke, das ist weit genug«, sagte sie.
Audric wandte sich um, und in seinen Augen lag Bedauern und Trauer.
»Es tut mir Leid«, flüsterte sie, als sie begriff, dass sie alles verdorben hatte. »Aber ich musste Sie doch warnen ...«
Ehe Alice wusste, wie ihr geschah, packte jemand sie von hinten. Sie schrie und trat um sich, aber ihre Angreifer waren zu zweit. Das ist schon einmal so passiert.
Und dann rief jemand ihren Namen. Nicht Audric.
Übelkeit stieg in ihr auf, und sie fiel.
»Fangt sie auf, ihr Idioten!«, schrie Marie-Cecile.
Kapitel 81
Pic de Soularac
Marc 1244
G uilhem schaffte es nicht, Alaïs einzuholen. Ihr Vorsprung war zu groß. Er taumelte den dunklen Gang entlang. Stechende Schmerzen jagten ihm durch die Seite, und die gebrochenen Rippen machten ihm das Atmen schwer. Alaïs ' Worte, die ihm durch den Kopf wirbelten, und die Angst, die sich in seiner Brust verfestigte, trieben ihn weiter.
Die Luft schien kälter zu werden, eisig, als würde das Leben aus der Höhle gesaugt. Er verstand es nicht. Wenn das hier ein heiliger Ort war, die Labyrinth-Höhle, wieso hatte er dann das Gefühl, dass ihn etwas Böses umfing?
Plötzlich gelangte er auf eine steinerne Plattform. Ein paar breite, flache Stufen direkt vor ihm führten zu einem Bereich hinunter, wo der Boden eben und glatt war. Eine calelh brannte auf dem Steinaltar und warf ein wenig Licht.
Die beiden Schwestern standen einander gegenüber, und Oriane hielt Bertrande noch immer das Messer an die Kehle. Alaïs war völlig reglos.
Guilhem duckte sich, betete, dass Oriane ihn nicht gesehen hatte. Ganz leise schob er sich im Schatten an der Wand entlang, bis er hören und sehen konnte, was sich zwischen den beiden abspielte.
Oriane warf Alaïs etwas vor die Füße.
»Nimm ihn«, schrie sie. »Öffne das Labyrinth. Ich weiß, dass das Buch der Wörter dort versteckt ist.«
Guilhem sah, wie Alaïs ' Augen sich vor Verblüffung weiteten. Voller Scham bemerkte er Orianes hochmütige Miene.
»Hast du denn nie das Buch der Zahlen gelesen? Du erstaunst mich, Schwester. Darin findet sich die Erklärung für den Schlüssel.«
Alaïs zögerte.
»Der Ring mit dem eingefügten merel darin öffnet die Kammer im Herzen des Labyrinths.«
Oriane riss Bertrande den Kopf nach hinten, sodass die Haut am Hals straff gespannt wurde. Die Klinge blitzte im Licht.
»Tu es, Schwester, sofort.«
Bertrande schrie auf. Das Geräusch war für Guilhem wie ein Messerstich in den Kopf. Er sah zu Alaïs hinüber, die mit finsterer Miene dastand. Ihr verletzter Arm hing schlaff und nutzlos herab.
»Erst musst
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