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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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hinter die Ohren gegeben. Er hat die ganze Zeit nur mit einer Hand an seinem Gürtel rumgezerrt, war ganz rot im Gesicht vor Scham, weil ich sie erwischt hatte. Als ich mir Jeanette vorgeknöpft hab, hat er sich losgerissen und ist weggelaufen, ohne sich auch nur umzudrehen.« Ranier schnalzte missbilligend mit der Zunge.
    »Und Jeanette hat die ganze Zeit rumgejammert und sich aufgeführt und beteuert, dass Raoul sie liebt und sie heiraten will. So wie sie geredet hat, hätte man meinen können, dass noch nie einem Mädchen mit Süßholzraspeln der Kopf verdreht worden wäre.«
    »Vielleicht hat er ja ehrbare Absichten?«
    Alziette schnaubte. »Der kann doch noch gar nicht ans Heiraten denken«, stellte sie fest. »Fünf ältere Brüder und nur zwei von ihnen verheiratet. Sein Vater hockt Tag und Nacht in der Schenke. Jeder sol, den die haben, landet in Gastons Tasche.«
    Alaïs versuchte die Ohren gegen den profanen Klatsch zu verschließen. Sie waren wie Geier, die an einem Kadaver herumhackten.
    »Aber andererseits«, sagte Alziette durchtrieben, »war es ja doch ganz gut so. Wenn ich nicht nach dem Rechten gesehen hätte, dann hätte ich sie nicht gefunden.«
    Alaïs verkrampfte sich, spürte, dass die beiden Köpfe sich zu ihrem Bett wandten.
    »Stimmt«, bestätigte Ranier. »Und ich könnte mir vorstellen, dass du reichlich belohnt werden wirst, wenn ihr Vater wieder da ist.«
     
    Alaïs lauschte weiter, erfuhr aber sonst nichts Neues. Die Schatten wurden länger. Sie schlief immer wieder ein.
    Kurze Zeit später kam eine Nachtpflegerin, wieder eine von den Lieblingsdienerinnen ihrer Schwester, um Alziette und Ranier abzulösen. Das Geräusch, wie die Frau die rissige Holzpritsche unter dem Bett hervorzog, weckte Alaïs auf. Sie hörte einen leisen Plumps, als die Pflegerin sich auf die ausgebeulte Matratze niederließ und das Gewicht ihres Körpers die Luft aus der dürren Strohfüllung presste. Wenige Augenblicke später verrieten das Röcheln und schwere Schnarchen am Fußende des Bettes, dass sie eingeschlafen war.
    Alaïs war plötzlich hellwach. Ihr war die letzte Anweisung ihres Vaters siedend heiß eingefallen: das Brett mit dem Labyrinth darauf in Sicherheit zu bringen. Sie schob sich in eine sitzende Position und ließ den Blick über die Stoffstücke und Kerzen gleiten. Das Brett war nicht mehr da.
    Um die Pflegerin nicht zu wecken, zog Alaïs ganz vorsichtig, weil die Angeln quietschten, die Tür des Nachtschränkchens auf. Das Brett war nicht drin. Alaïs fuhr mit den Fingern am Bettrand entlang, für den Fall, dass das Brett zwischen Matratze und Holzrahmen gerutscht war. Aber dort war es auch nicht.
    Res. Nichts.
    Ihr kam ein beunruhigender Gedanke. Ihr Vater hatte ihre Befürchtung abgetan, dass seine Identität vielleicht entdeckt worden war, aber hatte er Recht damit? Sowohl der merel als auch das Brett waren verschwunden.
    Alaïs schwang die Beine aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen durchs Zimmer zu ihrem Nähstuhl. Sie brauchte Gewissheit. Ihr Mantel hing über der Lehne. Irgendwer hatte versucht, ihn zu säubern, doch der bestickte Saum war mit Schlamm verkrustet, der die Stickerei teilweise ganz verdeckte. Er roch nach Garten oder Stall, durchdringend und säuerlich. Sie griff in die Tasche und zog die leere Hand wieder heraus, wie sie befürchtet hatte. Ihr Geldbeutel war verschwunden und mit ihm der merel. Die Ereignisse überschlugen sich. Plötzlich schienen die altvertrauten Schatten voller Gefahren zu sein. Sie fühlte sich von allem bedroht, sogar von den Schnarchlauten, die von der Holzpritsche kamen.
    Was, wenn meine Angreifer noch im Chateau sind? Was, wenn sie es wieder versuchen?
    Alaïs zog sich rasch an, nahm die calèlh und regulierte die Flamme. Der Gedanke, den dunklen Hof allein zu durchqueren, machte ihr Angst, aber sie konnte nicht hier im Zimmer sitzen bleiben und seelenruhig abwarten, was als Nächstes geschah. Coratge. Mut.
     
    Alaïs schirmte die flackernde Flamme mit der Hand ab, als sie auf der Suche nach François über den Cour d'Honneur zum Tour Pinte lief.
    Sie öffnete die Tür einen Spalt und rief seinen Namen in die Dunkelheit. Es kam keine Antwort. Sie schlüpfte hinein. »François«, flüsterte sie erneut.
    Die Öllampe warf nur einen blassgelben Schein, doch das Licht reichte aus, um zu erkennen, dass jemand auf der Pritsche am Fußende des Bettes ihres Vaters lag.
    Alaïs stellte die Lampe auf den Boden, bückte sich und berührte die Gestalt

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