Das Verlorene Labyrinth
sacht an der Schulter. Sofort schnellte ihr Arm zurück, als hätte sie sich verbrannt. Es fühlte sich falsch an. »François?«
Noch immer keine Antwort. Alaïs umfasste den rauen Rand der Decke, zählte bis drei und riss sie zurück.
Darunter lag ein Haufen aus alten Kleidern und Pelzen, die so arrangiert waren, dass sie wie eine schlafende Gestalt aussahen. Ein Stein fiel ihr vom Herzen, aber es war verwirrend.
Ein Geräusch draußen auf dem Gang ließ sie aufhorchen. Rasch griff Alaïs nach der Lampe und löschte die Flamme, dann drückte sie sich in die dunkle Ecke hinter dem Bett.
Sie hörte, wie sich die Tür quietschend öffnete. Der Eindringling zögerte, vielleicht weil er das Öl der Lampe roch, vielleicht weil ihm die weggerissene Decke auffiel. Er zog sein Messer aus der Scheide.
»Wer ist da?«, fragte er. »Zeigt Euch.«
»François«, sagte Alaïs erleichtert und trat hervor. »Ich bin es. Du kannst deine Waffe wegstecken.«
Er wirkte verstörter als sie.
»Herrin, verzeiht mir. Ich habe Euch nicht erkannt.«
Sie betrachtete ihn aufmerksam. Er atmete schwer, als wäre er gelaufen. »Die Schuld liegt bei mir, aber wo warst du denn zu dieser späten Stunde?«
»Ich ...«
Eine Frau, so vermutete sie, konnte sich jedoch nicht erklären, warum ihm das so peinlich war. Sie erbarmte sich seiner.
»Es spielt keine Rolle, François. Ich bin hier, weil du der einzige Mensch bist, dem ich vertraue und der mir sagen kann, was mit mir geschehen ist.«
Die Farbe wich aus seinem Gesicht. »Ich weiß nichts, Herrin«, sagte er rasch mit seltsam erstickter Stimme.
»Aber du hast doch bestimmt Gerüchte gehört, Küchengeschwätz und dergleichen?«
»Kaum.«
»Dann lass uns die Geschichte noch einmal nachvollziehen«, sagte sie, über sein Verhalten verwirrt. »Ich erinnere mich, dass ich vom Gemach meines Vaters zurückging, nachdem du mich zu ihm gerufen hattest. Dann haben mich zwei Männer überfallen. Als ich aufwachte, war ich in einem Obstgarten in der Nähe eines Baches. Es war früh am Tag. Als ich das nächste Mal aufwachte, lag ich in meinem Bett.«
»Würdet Ihr die Männer wiedererkennen, Herrin?«
Alaïs blickte ihn forschend an. »Nein. Es war dunkel, und es ging alles sehr schnell.«
»Wurde Euch irgendwas geraubt?«
Sie zögerte. »Nichts Wertvolles«, log sie beklommen. »Dann weiß ich noch, dass Alziette Baichère Alarm geschlagen hat. Ich habe vorhin gehört, wie sie sich damit gebrüstet hat, obwohl ich beim besten Willen nicht begreife, wieso ausgerechnet sie an meinem Bett saß. Warum nicht Rixende? Oder eine von meinen Frauen?«
»Das war die Anweisung von Dame Oriane, Herrin. Sie hat sich persönlich um Eure Pflege gekümmert.«
»Haben die Leute sich denn nicht darüber gewundert?«, fragte Alaïs. Es war vollkommen untypisch für Oriane. »Meine Schwester ist nicht gerade bekannt für ihre ... Fürsorge.« François nickte. »Aber sie ließ sich nicht davon abbringen, Herrin.«
Alaïs schüttelte den Kopf. Eine ganz schwache Erinnerung blitzte in ihren Gedanken auf. Ein flüchtiges Traumbild, wie sie in einem engen Raum eingeschlossen ist, Stein, kein Holz, der beißende Gestank nach Urin und Tieren und Verwahrlosung. Doch je angestrengter sie versuchte, diese Erinnerung einzufangen, desto weiter entglitt sie ihr.
Sie wandte sich wieder den anstehenden Fragen zu.
»Ich vermute, mein Vater ist nach Montpelhièr aufgebrochen, François.«
Er nickte. »Vor zwei Tagen, Herrin.« »Dann ist heute Mittwoch«, murmelte sie entsetzt. Sie hatte zwei Tage verloren. Sie runzelte die Stirn. »Als sie aufbrachen, François, hat mein Vater nicht gefragt, warum ich nicht da war, um ihn zu verabschieden?«
»Das hat er, Herrin, aber ... er hat mir verboten, Euch zu wecken.«
Das ergibt doch keinen Sinn. »Aber was war mit meinem Gemahl? Hat Guilhem denn nicht gesagt, dass ich in der Nacht nicht in unser Schlafgemach zurückgekehrt bin?«
»Ich glaube, chevalier du Mas hat die halbe Nacht in der Schmiede verbracht und dann mit Vicomte Trencavel den Segnungsgottesdienst in der Kapelle besucht. Er schien über Eure Abwesenheit ebenso verwundert zu sein wie Intendant Pelletier, und außerdem ...«
Er verstummte.
»Sprich weiter. Sag, was du denkst, François. Ich bin dir nicht böse.«
»Mit Verlaub, Herrin, ich glaube, chevalier du Mas wollte vor Eurem Vater keinesfalls den Eindruck machen, dass er nicht weiß, wo Ihr Euch aufhaltet.«
In dem Moment, als er das sagte, wusste
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