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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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voran. Die Strahlen der Spätnachmittagssonne fielen wie Himmelsleitern durch die hohen Fenster und erhellten die tanzenden Staubflocken.
    Die Frau vor Alice hatte einen ganzen Arm voll Bücher, die sie ausleihen wollte, und auch noch zu jedem eine Frage. Alice dachte darüber nach, was sie schon den ganzen Nachmittag beschäftigte. Konnte es denn sein, dass von den Hunderten von Abbildungen, die sie sich angeschaut hatte, nicht eine einzige haargenau mit dem Labyrinth in der Höhle am Pic de Soularac übereinstimmte?
    Es war möglich, aber unwahrscheinlich.
    Der Mann hinter ihr war zu nah an sie herangetreten, wie jemand in der U-Bahn, der versuchte, über ihre Schulter hinweg die Zeitung zu lesen. Alice wandte sich um und warf ihm einen bösen Blick zu. Er trat einen Schritt zurück. Irgendwie kam ihr sein Gesicht bekannt vor.
    »Omi, merci«, sagte sie, als sie an die Reihe kam und für die ausgedruckten Seiten bezahlte. Insgesamt waren es fast dreißig Blätter.
    Als sie nach draußen auf die Treppe der Bibliothek trat, schlugen die Glocken von Saint-Etienne sieben Uhr. Sie hatte länger gebraucht, als sie gedacht hatte.
    Alice wollte jetzt unverzüglich weiterfahren und eilte zu ihrem Wagen, den sie auf der anderen Seite des Flusses geparkt hatte. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie den Mann aus der Warteschlange in der Bibliothek nicht bemerkte, der ihr in sicherem Abstand auf der Uferpromenade folgte. Und sie merkte auch nicht, dass er ein Handy aus der Tasche nahm und jemanden anrief, als sie sich in den zäh fließenden Verkehr einfädelte.

Die Hüter der Bücher

Kapitel 26 Besiers
     
    JULHET 1209
     
    E s dämmerte, als Alaïs die weiten Felder vor dem Ort Cour san erreichte.
    Sie war gut vorangekommen, auf der alten Römerstraße, die durch das Minervois nach Capestang führte, durch wellige Hanffelder, die canabieres, und durch die smaragdgrünen Meere aus Gerste.
    Jeden Tag seit ihrem Aufbruch von Carcassonne war Alaïs geritten, bis die Sonne zu heiß wurde. Dann machten sie und Ta- tou an einem schattigen Fleckchen Rast, ehe sie bis zur Abenddämmerung weiterritten, wenn die Luft sich mit Stechmücken und den Schreien von Nachtschwalben, Eulen und Fledermäusen füllte.
    In der ersten Nacht hatte sie in der befestigten Stadt Azille bei Freunden von Esclarmonde Unterkunft gefunden. Je weiter sie nach Osten kam, desto weniger Menschen sah sie auf den Feldern und in den Dörfern, und alle, die sie sah, waren misstrauisch, hatten die dunklen Augen voller Argwohn. Sie hörte Gerüchte über Gräueltaten, die von marodierenden französischen Soldaten oder von rontiers, Söldnern, Wegelagerern, begangen worden waren. Die Geschichten wurden von Mal zu Mal blutiger und schauerlicher.
    Alaïs zügelte Tatou, bis sie in Schritt fiel, und überlegte, ob sie bis Coursan durchreiten oder sich in der Nähe einen Unterschlupf suchen sollte. Die Wolken zogen schnell an einem immer bedrohlicheren grauen Himmel dahin, und die Luft war sehr drückend. In der Ferne war hin und wieder Donnergrollen zu hören, wie das Brummen eines Bären, der aus dem Winterschlaf erwacht. Alaïs wollte nicht riskieren, auf freiem Feld von dem Gewitter überrascht zu werden.
    Tatou war nervös. Alaïs konnte spüren, wie sich die Sehnen unter dem Fell spannten, und zweimal scheute die Stute, weil sich in einer Hecke am Wegesrand ein Hase oder Fuchs bewegt hatte. Vor sich sah Alaïs ein kleines Eichen- und Eschenwäldchen. Es war nicht dicht genug, um ein Sommerrevier für größere Tiere wie Wildschweine oder Luchse abzugeben. Aber die Bäume waren hoch und kräftig und bildeten mit ihren dicht verflochtenen Kronen, wie verschränkte Finger, ein schützendes Dach. Ein deutlich erkennbarer Pfad, ein gewundenes Band aus trockener, von zahllosen Füßen festgetrampelter Erde, deutete darauf hin, dass der Wald eine beliebte Abkürzung in die Stadt war.
    Tatou schreckte zusammen, als Wetterleuchten kurz den immer dunkler werdenden Himmel erhellte. Das half ihr, eine Entscheidung zu treffen. Sie würde hier abwarten, bis sich das Gewitter verzogen hatte.
    Alaïs flüsterte der Stute beruhigende Worte zu und trieb sie weiter hinein in die dunkelgrüne Umarmung des Waldes.
     
    Die Männer hatten ihre Beute vor einiger Zeit verloren. Nur das drohende Unwetter hielt sie davon ab, ins Lager zurückzukehren.
    Nach etlichen Wochen Marsch war ihre blasse französische Haut von der sengenden südlichen Sonne braun gebrannt. Ihre Reiserüstung

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