Das verlorene Land
deinem Weg hierher erlebt hast. Es wird nützlich für uns sein, vielleicht sogar wichtig.«
Der Junge sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber dann schob er einfach nur die kleine Schale mit den Datteln und den Aprikosen beiseite und ergriff die Hand des Emirs, um sie zu küssen.
Bilal Baumer, der sich manchmal auch al-Banna nannte und nun der mutmaßliche Emir des Gelobten Landes war,
strich mitfühlend über Yusufs verfilzten Haarschopf und scheuchte ihn dann nachsichtig davon.
Innerhalb einer Stunde würde die Nachricht von einer Großzügigkeit und Freundlichkeit des Emirs bis zur Frontlinie hin durchgedrungen sein. Vor allem der Teil über den Harem, der sich aus einer kleinen Gruppe gefangener Frauen zusammensetzte, die er genau für solche Fälle vorgesehen hatte. Auch wenn er sie niemals für sich selbst benutzte – wer wusste schon, was so ein Lumpenkerl wie dieser Yusuf alles mit sich herumschleppte -, würde es großartig zu dem Mythos passen, den er um sich wob, dass er seine Frauen mit einem Soldaten aus den untersten Rängen der Fedajin teilte.
25
London
Der »Londoner Käfig« war in einem Teil einer ehemaligen Papier-Recycling-Fabrik am Flussufer in Creekmouth untergebracht, einem Industrieviertel am westlichen Stadtrand. Caitlin und Dalby machten sich über die A-13 auf den Weg, nachdem sie in einem Ibis Hotel in der Commercial Street übernachtet hatten. Über die Hälfte der Hotels in London waren in den letzten drei Jahren geschlossen worden. Die Ibis-Kette jedoch hatte dank einer Vereinbarung mit der Regierung überlebt, die sie verpflichtete, allen Zivilangestellten, die aufgrund ihrer Arbeit unterwegs waren, Unterkunft zu bieten. Caitlin hatte bereits dort übernachtet und sehnte sich nicht gerade nach einer Wiederholung. Sie war zu jung, um jemals hinter dem Eisernen Vorhang gearbeitet zu haben, aber sie stellte sich vor, dass die Touristenhotels der Sowjetzeit ähnlich bequem gewesen waren. Sauber, aber eintönig waren diese Hotels, und in jedem Zimmer wartete irgendeine spezielle Überraschung auf den Gast. Ein fadenscheiniges Handtuch, eine halbleere Mini-Bar, flackernde Lampen, benutzte Seifenstücke. Hinzu kamen griesgrämige, abstoßende Sicherheitsangestellte, von denen einige aussahen, als wären sie in einem Club für lesbische Wrestling-Aktivistinnen angeworben worden. Sie liefen ständig in den Fluren hin und her. Bei ihrem ersten Aufenthalt im Aldgate Ibis Hotel hatte eine von ihnen dreimal in der Nacht an ihre Tür geklopft, um nachzufragen, »ob alles in Ordnung« sei, und hatte sie erst in Ruhe gelassen, nachdem Caitlin ihr den
Lauf ihrer Glock 17 unter die Nase gehalten hatte. Dabei hatte sie gebrüllt, dass sie zwar ein Morgenmuffel sei, sonst aber alles »in schönster Ordnung« wäre.
Diesmal kamen sie kurz nach Mitternacht an und verließen das Hotel schon im Morgengrauen gegen sechs Uhr. Dalby schob alle Bedenken bezüglich Reisegenehmigungen, Spezialpässe und Zeitplänen, die von dem verschlafenen Nachtportier geäußert wurden, brüsk beiseite und hielt ihm seinen Dienstausweis hin.
»Manchmal frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, wir würden uns so eine Art Gestapo-Outfit zulegen«, sagte Caitlin. »Solche langen Ledermäntel und breitkrempige Hüte. Dann müssten wir uns nicht ständig ausweisen oder mit unseren Pistolen herumfuchteln. Jeder würde uns sofort erkennen und Angst vor uns haben.«
Dalby warf ihr einen verwirrten Blick zu. Sie standen gerade vor dem Aufzug, um nach unten in die Tiefgarage zu fahren.
»Bei euch Amerikanern weiß man nie, ob ihr es witzig meint oder einfach nur übers Ziel hinausschießt.«
»Jesses, Dalby, und da heißt es immer, wir hätten keinen Humor.«
»Humor und Ironie gibt es nicht mehr. Wir leben in einer post-ironischen Zeit.«
Sie warf ihren Rucksack auf den Rücksitz von Dalbys Wagen und zwängte sich auf den Beifahrersitz. Er schnallte sich an, schaltete das Radio ein, schloss die Tür und ließ den Motor an – in genau der gleichen Reihenfolge, wie er es immer tat, nachdem sie in seinen kleinen Mercedes gestiegen waren. Caitlin fragte sich, warum er das Radio nicht einfach eingeschaltet ließ, aber sie hatte bereits begriffen, dass Mr. Dalby ein Mann mit ganz speziellen festgelegten Angewohnheiten war. Die einzige Musik, die er im Auto laufen ließ, war eine CD mit bekannten Klassikstücken. Wenn er die nicht spielte, hörte er BBC
Radio 4, einen Sender, der so etwas darstellte, was sie einen
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