Das verlorene Land
gab.«
»So wie hier?«
»Eins zu null für Sie«, murmelte er, als sie an einem Kleinbus vorbeifuhren, der von schwer bewaffneten Angehörigen der Spezialkräfte der Polizei gestoppt worden war. Die Insassen stiegen mit erhobenen Händen aus und stellten sich in einer Reihe vor einem kleinen Supermarkt und einer Geldtransfer-Agentur auf, die beide ganz offensichtlich der gleichen indischen Familie gehörten. Ein handgeschriebenes Schild im Fenster der Agentur pries »Frischen Basmati-Reis am Dienstag« an. Die Insassen des Kleinbusses sahen aus, als kämen sie aus Pakistan oder einem der Ghettos für Einwanderer aus Bangladesch, die zur Arbeit gebracht wurden. Sie sahen resigniert aus und schienen sich mit den täglichen Schikanen abgefunden zu haben. Sie ignorierten die drei indischen Kinder, die lachend aus dem Laden gerannt kamen, um zuzuschauen, was hier los war. Einer der Polizisten kniete sich hin und richtete dabei seine MP-5 auf die Festgehaltenen, gleichzeitig machte er einen Scherz gegenüber den Kindern. Caitlin fragte sich,
ob die Pakistanis nicht lieber auf der Liste der kürzlich Deportierten gestanden hätten. Das Leben in den Ghettos war ziemlich hart und unerfreulich.
Aber dann hatten sie die Szene auch schon hinter sich gelassen. Allan Smith sprach weiter in seiner ruhigen, beinahe erhabenen Stimme die Nachrichten und referierte die Schreckensmeldungen der letzten Nacht. Der Laden einer Hindu-Familie in Newham war in die Luft gejagt worden, acht Personen, die im ersten Stock geschlafen hatten, waren verbrannt. Im Westen von China ging die Hungersnot weiter. Amnesty International hatte einen Bericht über die Todesschwadronen in der Südamerikanischen Föderation von Präsident Morales veröffentlicht. Zum Schluss kam noch die Meldung, dass Brasilien sein nukleares Aufrüstungsprogramm wiederbelebt hatte, um die Unabhängigkeit von Lateinamerika zu sichern.
Mit wachsender Verzweiflung hörte Caitlin zu und fragte sich, ob es am Ende der Nachrichten wohl etwas weniger schwerwiegende Meldungen geben könnte, einfach um die Stimmung wieder zu heben. Aber bevor er zu den Sportmeldungen überging, schloss der Sprecher seine Ausführungen mit der Ankündigung, dass die staatlichen Inspektoren in dieser Woche die Lebensmittelkarten verstärkt überprüfen würden, nachdem ein deutlicher Anstieg bei den Fälschungen festgestellt worden war.
»Das reicht an Trübsinn für heute Morgen, denke ich«, sagte Dalby und schaltete die Klassik-CD ein. Das Stück, das jetzt kam, das Adagio in g-Moll von Albinoni, war allerdings auch nicht gerade ein Discoknaller zur Hebung der Moral. Es war eher die Art Musik, bei der man »anfängt an seiner Pistole zu knabbern«, wie sie es gern ausdrückte. Also hörte sie lieber nicht hin.
»Haben Sie Wales schon die Informationen über Baumer geschickt?«, fragte sie. »Er wird das sicher gern wissen wollen.«
»Sie meinen Mr. Larrison? Ja, hab ich. Der Austausch mit Vancouver läuft ganz routiniert, einmal pro Woche informieren wir uns gegenseitig über die neuesten Vorkommnisse und Entwicklungen. Und da Sie ja direkt betroffen sind, habe ich eine Sondermeldung durchgegeben, als ich genug Material vorliegen hatte.«
Caitlin richtete sich auf.
»Hat Wales das schon gelesen?«
Dalby runzelte die Stirn. »Ich fürchte, dass sämtliche Geheimdienst-Ressourcen Ihrer Regierung im Augenblick zusammengezogen wurden, um diesen Piratenangriff zu bewältigen. Unsere Leute sind ja auch darauf angesetzt. Ein Großteil der Echelon-Agenten vom Kontinent und aus Afrika ist jetzt damit beschäftigt, die Verkehrsrouten der Piraten zu blockieren. Was Ihren Mr. Larrison betrifft, so soll ich Ihnen beste Grüße ausrichten, er war ganz froh, dass er die Jagd nach Baumer auf uns abwälzen konnte. Genau wie Sie sieht er es als persönliche Racheaktion an, die am besten auch … persönlich geklärt werden sollte.«
Caitlin war verstimmt, dass Dalby ihr nicht schon früher von dem Austausch mit Wales berichtet hatte, aber da er ansonsten sehr gute Arbeit geleistet hatte, ließ sie die Sache auf sich beruhen. Immerhin hatte ihr alter Verbindungsoffizier sich gemeldet und grünes Licht gegeben, obwohl er wahrscheinlich wegen dieser Angelegenheit in New York höllisch viel zu tun hatte.
Anstatt herumzumeckern, schaute sie lieber aus dem Fenster. Auch wenn es dort eher kahl aussah, gab es hier und da ein paar erfreuliche Details zu sehen. Sie hielten hinter zwei Bussen vor einem kleinen Park
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