Das verlorene Land
kurz hinter der Wharf Lane. Über die Steinmauer hinweg konnte sie Erwachsene sehen, die kleine Gemüsefelder bestellten, und Kinder, die unter den Bäumen spielten. Wahrscheinlich wohnten sie in den Mietshäusern hinter dem zweckentfremdeten Park und waren froh, dass sie Karotten, Erbsen
und Kartoffeln anbauen durften. Ein weißhaariger älterer Mann, halb gebeugt, ein alter Knacker, wie man hier zu sagen pflegte, reichte einem großen dunkelhäutigen Mann eine Thermoskanne mit einer heißen Flüssigkeit. Der Dunkelhäutige, der wahrscheinlich aus der Karibik kam, trug das Abzeichen des Londoner Hilfsdienstes auf seinem Sweatshirt. Er stützte sich auf seiner Axt ab, während er sein Getränk mit offensichtlichem Wohlbehagen schlürfte. Seine Anwesenheit sollte wahrscheinlich Jugendbanden davon abhalten, die Leute zu überfallen, wobei Caitlin der Meinung war, derartige Taugenichtse sollten besser auch mal zur Hacke greifen.
Als sie in der Nähe der U-Bahn-Station All Saints auf der East India Dock Road angekommen waren, sahen sie, wie die Bewohner der Reihenhäuser in den grauen Morgen hinausschlurften und sich in langen Reihen an den Bus- und Bahnstationen anstellten. Dalbys schnittiges deutsches Auto zog neidische Blicke auf sich. Er beschleunigte, um die Gegend möglichst schnell hinter sich zu bringen, und einige der wartenden Pendler hoben missgünstig den Mittelfinger.
Sie fuhren weitere zwanzig Minuten und kamen an Tausenden von Menschen vorbei, die zu den Haltestellen trotteten, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Innenstadt zu fahren, wenn sie einen Platz ergattern konnten. Viele mussten häufig umsteigen. Auch wenn sie früher oft zu Stoßzeiten über den stockenden Verkehr geklagt hatten, wussten sie jetzt doch, wie viel schlimmer es war, wenn es gar keinen Verkehr mehr gab bis auf die Linienbusse. Caitlin hatte sich bis dahin noch nie Gedanken darüber gemacht, dass es für viele Menschen nicht ungewöhnlich war, täglich bis zu vier Stunden oder mehr in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbringen. Sie fragte sich, warum sie nicht näher an den Ort heranzogen, zu dem sie Tag für Tag aufbrachen.
Sie kamen an einem weiteren Park vorbei, der zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung freigegeben worden war, allerdings war diese Fläche noch viel größer als die vorherige. Auf diesem Bereich hätte man gut und gerne mehrere Sportplätze unterbringen können. Ein Blick genügte, und Caitlin erkannte, dass der Traktor, der den fruchtbaren Boden pflügte, ihn für einen monokulturellen Anbau vorbereitete. Sicherlich handelte es sich um eine Fläche, die dem Ministerium gehörte, denn kleinere Organisationen erhielten oftmals nicht die Genehmigung für genügend Diesel, um einen Traktor einsetzen zu können. Die kleine Gruppe von Arbeitern, die sich am Ende des Feldes versammelt hatte und wartete, deutete jedoch darauf hin, dass die Aussaat per Hand gemacht wurde.
»Na, bei diesem Anblick bekommen Sie bestimmt Heimweh nach Ihrer eigenen Farm, oder?«, fragte Dalby.
Sie seufzte und schüttelte den Kopf, als sie sich vorstellte, wie schlecht es diesen Leuten ging, die sehr wahrscheinlich Arbeitslosengeld bezogen und zu dieser Arbeit zwangsweise herangezogen wurden.
»Manchmal vergessen wir, wie gut es uns auf dem Land geht, Dalby«, sagte sie. »Wir haben da zwar auch Flüchtlinge und sonstige Probleme, die uns daran erinnern, wie schlimm es manche Leute getroffen hat. Aber sogar für die ist es auf dem Land immer noch besser als im städtischen Überlebenskampf.«
»Ich schätze, deshalb gibt es so lange Wartelisten für die Teilnahme am Agrarhilfsprogramm, von dem Leute wie Sie und Mr. Melton profitieren. Ich würde bestimmt nicht lange in London bleiben, wenn ich hier nicht zu tun hätte.«
Er verließ die A-13 an der River Road kurz vor dem Lyon Business Park, wo heutzutage kaum noch Business stattfand. Tatsächlich war die Hälfte der Grundstücke abgesperrt, aber das Creekmouth-Industriegebiet war noch
nicht vollständig aufgegeben. Lastwagen fuhren über die Zubringerwege, und das Klärwerk drüben am Barking Creek arbeitete wie immer auf Hochtouren. Das Thames Café und Daddies Snack Bar waren geöffnet und verkauften Sandwiches und stark gesüßten Tee an Hunderte von Arbeitern, die einen der heiß begehrten Jobs in einer der Metall- und Eisenwarenfabriken in der Nähe ergattert hatten. Erstaunlicherweise gab es eine intakte Werft auf dem Gelände, außerdem eine Reinigungsfirma,
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