Das verlorene Land
sie von ihm nicht erkennen. Und da sie wahrscheinlich den Arsch von Jimmy James Jefferson nicht genau identifizieren konnten, würden sie auf seinen Trick vielleicht reinfallen.
So wie sie jetzt loslachten, schienen sie nicht sonderlich beunruhigt zu sein.
Ist doch typisch für diese Kerle, dachte Miguel, dass sie einem gefallenen Kameraden nicht wieder auf die Beine helfen, vom Ausleihen einer Hose ganz zu schweigen. Sie unterhielten sich einfach weiter, während er im Dreck liegen blieb.
Er stöhnte laut vor sich hin und stützte sich auf die Ellbogen, versuchte den Arm auszustrecken und fiel wieder hin, diesmal so, dass die Flasche mit dem Bourbon umkippte und der Inhalt auslief.
»He!«, rief der eine, bestimmt der Kleinere, da war er sich ziemlich sicher. »Du verschüttest ja alles.«
Miguel zog die Flasche ein Stück zu sich und wartete ab. Nun lag er vollkommen ruhig und wartete ab, dass sie sich näherten. Er schob seine rechte Hand in die Lederjacke und umfasste den Griff seines Bowiemessers. Als Viehhüter und Rinderzüchter hatte er sein ganzes Leben lang mit Messern gearbeitet, er wusste sehr genau, was Kraft und Schnelligkeit mit einer scharfen Schneide ausrichten konnten, wenn sie geschickt und mitleidlos eingesetzt wurde.
Als er spürte, wie die Männer nach ihm griffen, drehte er sich um und stach auf den ersten ein, blitzschnell ein-, zwei-, dreimal. Die tödliche Klinge sauste im Halbkreis hin und her und schlitzte die Kehle des kleineren Mannes so schnell auf, dass er nicht einmal mehr die Zeit hatte zu schreien, weil seine Luftröhre bereits zerschnitten war. Miguel vollführte eine weitere Drehung, stieß nach vorn wie eine angreifende Klapperschlange und rammte die Stahlklinge mit voller Wucht gegen die Schläfe des zweiten Mannes und trieb sie in seinen Schädel. Die Augen seines Gegners schienen aus den Höhlen zu treten, während der letzte Funken Leben in ihnen erstarb. Er zog die Klinge wieder heraus, wobei Fleischfetzen und Knochensplitter mit herausgerissen wurden. Mit einem letzten Sprung stieß er das Bowiemesser zwischen die Rippen des
ersten Gegners, direkt ins Herz, um sicherzugehen, dass er wirklich tot war.
Ein paar Rinder muhten protestierend, aber weiter taten sie nichts.
Miguel verzog angewidert das Gesicht, stand auf und zog die Lederjacke aus. Er war über und über mit warmem Blut besudelt, aber er hatte keine Zeit, sich zu säubern.
Er rannte zu dem Platz zurück, wo er seine Hose und seine Schusswaffen liegen gelassen hatte.
Er würde noch einige Mal zuschlagen müssen, bevor seine Arbeit in dieser Nacht beendet war.
27
Kansas City, Missouri
Im Vergleich zu anderen großen urbanen Zentren war Kansas City relativ intakt geblieben. Kipper schaute aus seinem zeitlich befristeten Amtssitz im Cerner Corporation Campus im Norden der Stadt und bemühte sich, im Geiste Verbindungslinien zwischen bestimmten Punkten zu ziehen. Er hörte, wie drüben auf der anderen Seite des Highway 210 die Züge über die Gleise rumpelten. Diese Züge wie auch den Missouri River konnte man benutzen, um St. Louis vom östlichen Ende des Staates aus wieder zu besiedeln. Dort waren Abbruchunternehmen bereits damit beschäftigt, die ehemalige Boeing-Fabrik und andere Produktionsstätten zu demontieren. Wenn St. Louis wieder besiedelt war, konnten sie damit beginnen, die Kontrolle über den Mississippi zu erlangen. Und wenn sie den Fluss kontrollierten, dann hätten sie das Herz des amerikanischen Kernlands wieder im Griff und würden sich weiter nach Süden oder nach Westen wenden.
Dieser Teil seiner Arbeit gefiel Kipper, faszinierte ihn geradezu. Die politischen Spielchen überließ er lieber Jed Culver. Die Notwendigkeit beziehungsweise Unvermeidlichkeit einer Auseinandersetzung oder eines Krieges hatte er inzwischen als einen Teil der Wiederbelebung und Rekonstruktion seines zerrissenen Landes akzeptiert. Er führte ja bereits einen nicht erklärten Krieg in Manhattan, und auch dieser Scheißkerl dort unten in Fort Hood hatte es offenbar darauf abgesehen, ihn in einen Kampf
der Weltanschauungen zu drängen. Aber die Herausforderung des Wiederaufbaus und der Erneuerung, das Aufbieten aller Ressourcen zum Wohle der Nation, so klein sie auch geworden war, und die Mittel gut und richtig einzusetzen – das war die rechte Arbeit für einen Ingenieur, der sich zutraute, Übermenschliches zu leisten. Hier ging es um den Aufbau einer neuen Welt. Er erlaubte sich einige Momente gesunder
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