Das verlorene Land
Kansas City sehen, die Flugzeuge, die auf dem Charles-B.-Wheeler-Flughafen einschwebten, und die Skyline der Stadt. Lastwagen und Busse fuhren den Highway 210 entlang, beladen mit Arbeitern, demontierten Gütern und Lebensmittellieferungen. Zahlreiche Pferde und Fahrräder waren ebenfalls auf den Straßen zu sehen. Und wenn er Richtung Westen schaute, konnte er sehen, dass die Federal Medical Facility wieder voll einsatzfähig war. Kipper spürte ein leichtes Schuldgefühl, wenn er daran dachte, dass einige seiner Soldaten dort lagen und mit dem Tod rangen. Bevor er nach Seattle zurückflog, musste er ihnen unbedingt einen Besuch abstatten. Im Osten stiegen Rauchschwaden
von der Unit 5 des Hawthorne-Kraftwerks auf. Dort wurde die Energie für das gesamte Stadtgebiet erzeugt. Mit etwas Glück würde er noch heute dort hinfahren und sich persönlich davon überzeugen, dass alles gut lief. Oder er würde die Macken im Detail suchen und allen dort »mächtig auf den Keks gehen«, wie Culver es auszudrücken pflegte.
»Guten Morgen, Mr. President«, begrüßte ihn sein Stabschef, der einen perfekt gebügelten anthrazitfarbenen dreiteiligen Anzug trug. Kipper hatte Chinos und ein blaues Baumwollhemd an. Das lässige Outfit war seiner Ansicht nach zu rechtfertigen, weil er noch eine Menge Ausflüge an diesem Tag auf dem Programm stehen hatte. Außerdem war seine Frau nicht da, die ihn ständig in diese Affenkostüme zwängte.
»Gibt’s Neuigkeiten aus New York?«, fragte Culver. »Ich hab die ganze Zeit mit dem Finanzministerium zu tun gehabt.«
»Nichts Gutes«, erwiderte Kipper. »Achtundvierzig Tote auf unserer Seite wurden bestätigt, die meisten stammen aus dem Räumungstrupp, den wir gestern getroffen haben. Genauso viele Schwerverwundete und enorme Zerstörungen in der Stadt zwischen dem Union und dem Madison Square. Die Verletzten werden heute ausgeflogen.«
»Verstehe. Und wie steht’s mit den Opfern bei den Gegnern?«
Kipper rieb sich die entzündeten Augen. Er schlief immer schlecht in der ersten Nacht in einem neuen Bett.
»Sechshundert plus x, nach Zählung der Kavallerie. Aber dort, wo sie herkommen, scheint es noch jede Menge zu geben, auch von diesen großen Unbekannten. Wir bekommen wahrscheinlich bald eine neue Einschätzung von Colonel Kinninmore. Und wie sieht’s bei Ihnen aus, Jed? Was für Komplikationen haben Sie mir heute Morgen zu bieten?«
Es sollte eine scherzhafte Bemerkung sein, aber sie kam etwas unwirsch und miesepetrig heraus.
»Entschuldigen Sie«, fügte Kipper hinzu. »Ich bin müde und schlecht gelaunt. Ich muss heute noch achtundvierzig Beileidsbriefe schreiben.«
Culver trat zu ihm an die Panoramafenster und schaute auf die Stadt.
»Sie kennen ja meine Meinung zu diesem Punkt«, sagte er.
»Und Sie kennen meine«, gab Kipper mit einem warnenden Unterton zurück. »Es ist keine Zeitverschwendung, Jed. Es ist etwas, das ich tun muss. Es sind nur kurze Briefe, aber ich weiß, dass sie den Angehörigen viel bedeuten.«
Netterweise verzichtete Culver darauf, seine alten Gegenargumente aufzuwärmen.
»Die Presse ist uns heute Morgen recht gnädig gestimmt«, sagte er und verfiel wieder in seinen üblichen pragmatischen Tonfall. »Bezüglich der Vorkommnisse in Manhattan stellen sie sich hinter uns. Sie nennen es den Kampf um New York.«
»Hat irgendjemand schon darüber spekuliert, was es mit diesen …« Kipper schaute auf seine Notizen. »… Fedajin auf sich hat?«
»Noch nicht«, sagte Culver. »Aber es ist ja noch früh am Tag, und es waren ein halbes Dutzend Reporter und Kriegsblogger bei unseren Truppen oder Schimmels Miliz eingebettet. Wenn es ein Thema ist, dann werden sie es sich bald geschnappt haben.«
Kipper schaute aus dem Fenster zum Krankenhaus, wo die Verletzten aus New York im Laufe des Tages eintreffen würden.
»Gut«, sagte er. »Vielleicht verschaffen die uns ja bessere Informationen als die offiziellen Kanäle, wenn sie erst mal ihre Frontberichte geschrieben haben.«
Culver blickte skeptisch drein.
»Eher unwahrscheinlich, Sir. Wenn sie eingebettet sind, dann gehen alle ihre Berichte durch unsere Zensur. Unsere Geheimdienstleute werden keine Informationen durchgehen lassen, bevor sie sie ausgewertet haben.«
»Das ist wirklich schade«, sagte Kipper, und er meinte es auch so. »Manchmal ist es ganz gut, eine andere Perspektive auf das Geschehen zu kennen. Welche Möglichkeiten haben diese Reporter denn sonst noch, an unabhängige Informationen
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